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Die Liebe in Zahlen

Liebe als Massenphänomen

von H.P. Schalk

Ich weiß, es ist Wahnsinn, aber vielleicht ja gerade deshalb interessant. Ich gebe „Liebe“ bei Google ein. Nach 0,58 Sekunden bietet die Suchmaschine 289 Millionen Einträge an. Der Begriff „Love“ liefert gleich 7,8 Milliarden davon.

Ich halte das für rekordverdächtig. Zum Vergleich probiere ich mein Glück mit „Jesus“: 895 Millionen. „Christus“ bringt es auf 31,4 Millionen, Mohammed auf 202 Millionen, Buddha auf 179 Millionen. „Liebe“ liegt also wirklich auf den vorderen Rängen, „love“ sowieso.

Doch dann der zahlenmäßige Einbruch: Beim Gutenberg-Projekt, der größten elektronischen Volltextsammlung deutschsprachiger Literatur mit über 1700 Autoren, taucht der Begriff „Liebe“ nur tausendmal auf, etwa im „Liebeslied“ von Rilke: „Wie soll ich meine Seele halten, dass sie nicht an deine rührt?“, in Ibsens „Komödie der Liebe“: „Du hast den Liebesrausch schon ausgeschlafen?“, in Ovids „Elegien der Liebe“: „Schüttle die Locken zurück über das niedliche Ohr“, in Schnitzlers „Liebelei“: „Ich bin ihm nichts gewesen als ein Zeitvertreib“.

Man mag antworten: Tausendmal das Thema Liebe in der Literatur wiegt eine Million Erwähnungen in Google locker auf, aber 7,8 Milliarden? Wem so oft eingehämmert wird, es gebe so etwas wie Liebe, der muss verrückt sein, um nicht daran zu glauben. Weit her ist es freilich nicht mit dem Glauben.  Solange die Hormone Dopamin und Oxyticin rosa Nebelwolken ins Gehirn blasen, beugen sich Penis und Vagina dem Ruf der Wildnis bzw. der Evolution. Doch nach nicht einmal zwei Jahren ist die Phase der ersten Verliebtheit rum, nach durchschnittlich 14 Jahren endgültig und die Scheidung wird eingereicht, rund 160.000 mal im Jahr. Dabei glauben 74 Prozent der Deutschen an die Liebe fürs Leben. Es genügt, diese Zahlen nebeneinander zu halten, um klar zu machen, dass der Selbstbetrug zu unserem seelischen Standard-Repertoire gehört. Entsprechend kitschig verhalten wir uns im Alltag. Jeder Dritte – 36 Prozent – nennt seinen Partner „Schatz“, „Schatzi“ oder „Schätzchen“; auf ein Drittel – 10 Prozent – kommen „Maus“ oder „Mäuschen“. Darunter rangieren Süße/r, Liebste/r, Engelchen, Schnucki, Bärchen, Schnuffi, Spätzchen, Mäusebärchen, Baby.

Von seelischer Reife der angeblich Liebenden sprechen solche Namen nicht. Offen gestanden: Würde mir meine Partnerin ständig ein „Schätzchen“ aufs Ohr geben – wir wären längst geschieden. Sie kennt mich eben und tut‘s vielleicht ja deshalb nicht.