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Treu schau wem – Treue oder Blindheit?

Treue lässt sich nicht institutionalisieren

Ein neues Jahr und da fange ich gleich mit einer alten Geschichte an? Ja, warum nicht? Wenn sie denn Bedeutung hat, sollte das legitim sein. Die Rede ist von einer Beziehung, die ich mit Mitte 20 führte. Das war alles andere als einfach. Ich hatte damals gerade erst „Betty Blue“ von „Phillipe Djian“ gelesen und dann brauste „meine Betty“ wie ein Orkan in mein Leben. Ich war so richtig hin und weg am Anfang, träumte im tiefen Inneren meines Stammhirns bereits von der Weitergabe meiner Gene. Ihr wisst schon, das volle Brett eben. Die ganz große Euphorie legte sich allerdings relativ schnell. Warum? „Betty“ war magersüchtig und auch noch Vegetarierin. Eine Spezies, der ich in dieser Kombination bislang nicht begegnet war, und so begann ich mich darauf einzustellen. Will heißen, dass ich fürderhin ebenfalls auf Fleisch verzichtete; dass ich das Kochen – unter anderen Bedingungen als „Bratwurst oder Steak in die Pfanne oder auf den Grill“ – neu erlernen musste. Das klappte zunächst ganz gut. Sie konnte ihr Gewicht halten, nahm gelegentlich sogar ein wenig zu.

Treue, die erste: freiwillige Kerkerhaft?

Bis zu ihrem Griechenlandurlaub (ihr Abi war geschafft). Sie flog mit einer Freundin dorthin, die auch nicht gerade viel Fleisch auf den Rippen hatte. Bei ihrer Abreise dachte ich mir nicht viel dabei, sollen sie möglichst viel Spaß haben und gut ist‘s. Als sie nach zwei Wochen wiederkam, traute ich meinen Augen kaum. Der Graf von Monte Christo hätte nach jahrelanger Kerkerhaft im Vergleich zu meiner „Betty“ wie das blühende Leben ausgesehen: 42 Kilo auf 1,78 Meter? Das war der Hammer. Ideen über Kinder erloschen in meinem Stammhirn, wie eine LED-Lichterkette, die vom Netz genommen wird. Ich hatte zu dieser Zeit einen Job als Werbetexter in einer Heilbronner Agentur. Probezeit fast durch, das hätte was Längerfristiges werden können, aber natürlich habe ich gekündigt. Vollzeit in Würzburg, kochen und füttern, was das Zeug hält – die stirbt mir sonst weg, war die nur allzu begründete Angst. Ich will’s mal so sagen: Das hat auch geklappt – Gewichtszunahme, dann ein fantastischer Urlaub – sechs Wochen im Haus ihrer Eltern in der Toskana, noch zwei Wochen Korfu hintendran. Alles schien gut zu werden.  Bis zur Hochzeit ihrer kleinen Schwester.

Treue, die zweite: blind für die Gefahr

Bis zu diesem Zeitpunkt war ich – was Untreue angeht – weitgehend unerfahren: Schluss machen, dann was Neues anfangen, das kannte ich als „Opfer“ und als „Täter“ zur Genüge. Oder ich war in der Vergangenheit einfach zu blind gewesen, um diverse Vorzeichen zu erkennen. Und mit Blindheit sind wir auch beim Stichwort: Diese Hochzeit war der Wahnsinn. Aus welchem Loch er auch immer geschlüpft war: Ein gutaussehender australischer Maler machte unsere Bekanntschaft. Ich fand ihn nett und wie es für mich ganz normal ist, schwirrte ich mal hier und mal dahin übers Hochzeitsfest. Halli, hallo, huhu – Zwilling halt. Okay, ein bisserl zweifelnd wurde ich, als ich meine „Betty“ und den Herren aus „Down Under“ tête-à-tête in einer Gartenschaukel sitzen sah. Aber wie es eben so ist: Oh – ein Eichhörnchen, holla ein Schmetterling – das Fest ging weiter, bis sich die ältere Generation in ihre Eigenheime verabschiedete. Der Rest verlagerte den Mittelpunkt der abendlichen Aktivitäten in einen Keller-Club, der auch für seinen labyrinthischen Grundriss bekannt ist. Was soll ich sagen? Ich habe viel getanzt, den ganzen Tag über viel getrunken – so um drei Uhr morgens war ich einfach müde und bin nach Hause gelaufen, das war damals nicht weit. Noch ein Küsschen für „Betty“, ein Shakehands mit dem Maler, einen Hug mit „Bettys“ kleinem Bruder und weg war ich.

Treue, die dritte: Showdown

Nächster Morgen – okay, es war eher früher Nachmittag. Der kleine Bruder ruft mich an. Festnetz, natürlich – Handy gab es damals nur für Millionäre. Grabesstimme: „Meine Schwester hat ihn mit zu sich nach Hause genommen.“ „Wen noch mal?“ Ah ja, da war was – dunkel brauten sich die Erinnerungswolken in meinem Kopf zusammen. Also einen Kaffee gekocht, ins Auto gestiegen und zu ihr gefahren. Geklingelt. Noch mal geklingelt. „Er“ war schon weg. Ich frage: „Hast du mit ihm geschlafen“? Sie, noch völlig zerknautscht: „Nö, hab ich nicht“! Aber im weiteren Gespräch offenbarte sie mir dann doch die Wahrheit. Eine Wahrheit, die ich eigentlich gar nicht wissen wollte, die mich echt ins Mark traf (übrigens: Er hieß Mark): „Wie blind kann man eigentlich sein?“ Ein Satz, der in den Wochen nach unserer Trennung in meinem Hirn rauf und runter lief. Aus heutiger Sicht kann ich nur sagen: Ich habe es gut verkraftet und es ist kein Othello aus mir geworden. Gute Sache: Ich kann immer noch vertrauen.