Vorlesung als Vorspiel?
Da war mal eine Zeit, ich war so Ende zwanzig, als ich in meinen Bemühungen, eine Partnerin zu finden, in einer gefühlten Sackgasse angekommen war. Darf man Sackgasse überhaupt noch sagen, oder ist das gendermäßig schon Macho? Fuck it! Jedenfalls waren die letzten beiden Beziehungen doch relativ sang- und klanglos eben nicht in die Hose, sondern den Bach runtergegangen, und ich fasste den Entschluss, mich erstmal nicht mehr zu binden. Da lachte der Schicksalsgott wohl lauthals und beschloss, mich zu prüfen. Wie machte er das? Nun, es dauerte nach meiner Entscheidungsfindung keine ganze Woche, bis er mir eine junge Dame schickte. Mit „jung“ meine ich 21 vs. meinen 28 oder so, was vom Altersunterschied her in späteren Lebensphasen erstmal nicht so wild klingt. Aber damals ploppte bei mir dieser „als ich in der zehnten Klasse war, da warst du in der dritten“-Gedanke auf.
Allein – sie war zu schön
Aber, aber, aber – der Schicksalsgott hatte seine Hausaufgaben gründlich gemacht, als er mir die Lady schickte. Zeitpunkt: spät nachts. Ort: Ein Club mit sehr guter Musik. Mein Zustand: Überraschend auf eine Line Koks eingeladen worden und damit noch redseliger als ohnehin schon. Protagonistin: Eine Schönheit, für die ich mir noch Monate vorher den Arsch aufgerissen hätte, um überhaupt mit ihr ins Gespräch zu kommen! Keine tumbe Niedlich-Guck, sondern sprudelnd vor Lebensfreude, eloquent in ihren Sätzen – sie konnte sogar Genitiv, aber zu diesem Thema schreibe ich noch mal an anderer Stelle ausführlich. Ganz ehrlich? Das ging mitten rein! Euphorie pur, kann natürlich auch am Koks gelegen haben, aber mir war klar – die will ich wiedersehen. Also dieses Old-School-Prozedere: ein schmieriger, durchgeweichter Block von der Bedienung, auf den beide dann Namen und Festnetznummern kritzeln. Ja, so war das damals! Nix mit „gib mir mal nen Ping!“
Hangover am Morgen – und eine Idee
Als ich am nächsten Tag gegen Mittag erwachte, stand ihr Bild sofort leuchtend vor mir. Ganz klar – ich wollte sie erneut treffen, aber – und das wurde mir unter Kopfschmerzen auch klar – nicht auf der klassischen Anbagger-Schiene. Und eine Kanne Kaffee und zwei Aspirin später hatte ich tatsächlich eine Idee und rief sie an. Ob sie denn Lust habe (es war Sommer), sich morgen mit mir am Eingang zum Hofgarten zu treffen? Sie hatte. Und ich einen Plan, denn ich hatte beschlossen, ihr ein Buch vorzulesen. So was hatte ich – bei einem ersten Date – noch nie gemacht und war am Tag darauf entsprechend nervös. Immerhin, die wichtigsten Dinge hatte ich dabei – eine Decke zum drauf Sitzen und einen Rucksack mit alkoholfreien Getränken, natürlich DEM Buch und etwas Knabberzeugs. Sie – hatte eher wenig dabei: Sandaletten, Hotpants und ein gewagt ausgeschnittenes T-Shirt. Oioioi – in meinem Inneren trugen Hormone und Intellekt einen beachtenswerten Kampf aus, während wir uns in die Höhen des Hofgartens verlustierten – eben dahin, wo nicht ständig Touristen vorbeilatschen.
Under the Tree
Quizfrage: Welches Buch hatte ich denn nun im Gepäck? Nein, es war nicht das Kamasutra und auch sonst kein Werk, das ernsthaft in den Bereich der erotischen Literatur fallen würde. Was also? Es war natürlich „Die Brautprinzessin“ (engl. The Princess Bride) von William Golding. Eine klassische Liebesgeschichte, mit edlen Helden und wahren Abenteuern, von Golding in einem amüsant-ironischen Erzählstil präsentiert. Wir waren also unter diesem Baum im Schatten und ich habe angefangen zu lesen – eine Vorlesung, aber kein Vorspiel zu mehr. Es mag daran liegen, dass ich eine relativ angenehme Stimme habe, aber Fakt war – sie hat zugehört! Und es hat ihr gefallen! Wir haben uns in diesem längst verblühten Sommer oft getroffen – bis die Geschichte zu Ende erzählt war. Ganz ehrlich? Ich weiß ihren bürgerlichen Namen nicht mehr. Für mich heißt sie bis heute „Butterblume“.