Liebe auf Bestellung

Kürzlich besuchte ich in München eine Gruppe von Menschen, die es tatsächlich für möglich hielten, jedermann lieben zu können. Es komme nur darauf an, dass man das wirklich wolle. Das brachte eine Saite in mir zum Klingen, meine Sehnsuchtssaite.

Der erste Impuls meiner realistischen Seite äußerte sich freilich erst einmal kritisch: „Quatsch. Es ist schon schwer genug, auch nur einen Menschen zu lieben.“ Ja stimmt, und meistens hält das nur bis zum verflixten siebenten Jahr. Nachdem aber etwas in mir einem derartigen Realismus misstraut, drängte gleich ein zweiter Gedanke hinterher: „Warum eigentlich nicht?“

Wenn ich mich beim Zugfahren langweile, dann schau ich mir die anderen „Damen und Herren“ im Großraumabteil an. Und manchmal mache ich mir das Vergnügen zu überlegen, was ich an ihnen sympathisch finde. Bei der einen ist es das lustige glucksende Lachen, beim nächsten der Schalk in den Augen, bei der dritten die wunderschönen Lippen oder der gekräuselte Haaransatz im Nacken, beim nächsten die beeindruckende Ernsthaftigkeit, mit der er sein Manuskript studiert oder voller Genuss sein Pils antrinkt. Erstaunlicherweise gibt es niemanden, der nichts Liebenswertes an sich hat, wenn ich nur offen und bereitwilig danach schaue. Jedenfalls fast niemanden.

Was wäre, wenn ich diese Person nun kennenlernen würde und diese ganz besondere Perspektive beibehielte? So betrachtet erscheint mir auf einmal die Möglichkeit gar nicht mehr so ganz unmöglich, diese Person auch lieben zu können. Vielleicht hängt es ja tatsächlich vor allem – oder nur!!! – von der inneren Bereitschaft ab? Sie runzeln die Stirn? Dann schauen wir uns doch mal ein spannendes Beispiel an. Ich habe drei Kinder. Bei keinem wusste ich, wie sie aussehen und welchen Charakter sie haben werden. Und doch hat mich irgendein Programm der Evolution mit der Bereitschaft ausgestattet, meine Kinder zu lieben. Und kaum waren sie da, habe ich sie auch geliebt. Und das hält nun schon bald 39 Jahre – und nicht nur sieben – vor. Eigentlich erstaunlich. Bei Frauen mag sich das ja noch – wenigstens teilweise – hormonell erklären lassen, bei Männern eher nicht. Trotzdem lieben Väter ihre Kinder bis zur Selbstaufopferung, auch solche, die ihnen ein Kuckuck ins Nest gesetzt hat.

Was mich am meisten an der Idee dieser „Liebe auf Wunsch“ überrascht: Offenbar benötige ich für diese Gedanken an keiner Stelle einen spirituellen Ansatz. Denn dass ich auf einer höheren bzw. tieferen Ebene sowieso alle Menschen lieben kann, ist eigentlich nichts Neues.