, ,

Ein Lob auf die Verlobung?

Verlöbnis

Um es frei weg zu sagen: Meine Frau und ich waren nie verlobt. Kennengelernt haben wir uns 1974, geheiratet 1979. Geschieden? Nein, habe wir noch nicht geschafft. Mit anderen Worten: Wir hielten die Verlobung für überflüssig. Lässt sich das aber generell behaupten?

Mal sehn. Die Huffington Post schreibt: „Ein Virus geht um. Er nennt sich Verlobungswahn. Er ist extrem ansteckend …“ Stimmt, hab ich auch schon mitbekommen, muss also so sein, denn das Thema hat mich bislang eher kalt gelassen. Warum das jetzt anders ist, darauf komme ich noch.

Verlobung: die Kinder in trockenen Tüchern

Verlobung bzw. Verlöbnis bedeutet die öffentlich gemachte Versicherung, einen Menschen heiraten zu wollen; noch genauer: dass die Heirat von zwei Menschen fest geplant ist. Die feste Verbindung wurde früher nämlich meistens zwischen den Eltern des Paares vereinbart. Nicht selten war der junge Mann dabei auf Brautschau durch die Dörfer gezogen. Hatte er ein Objekt seiner Begierde gesichtet, begannen die familiären Verhandlungen. Ein Vetorecht der Betroffenen bestand eher selten. Oft wurde der Deal schon während der Kindheit des künftigen Paares zwischen den Familien ausgehandelt. In der Verlobungszeit durften sie sich dann beschnuppern. Um Liebe ging es also nicht, und schon gar nicht um körperliche Liebe. Denn die Verlobten lebten jeweils noch in der elterlichen Familie und durften allenfalls tagsüber miteinander spazieren gehen. Freilich geht das Gerücht, dass sie dabei auch schon mal wenig einsehbare Orte für ihr Tête-à-Tête wählten …

Verlobung bedeutete also, dass die Familien die Zukunft ihrer Kinder in trockenen Tüchern hatten, idealerweise in trockenen Seidentüchern. Im schlechtesten Falle bedeutete Verlobung eines Mädchens, dass man die wirtschaftliche Fürsorge für sie bald los war, also eine finanzielle Entlastung der Familie, im besten Falle machte sie eine „gute Partie“. Verlobung bedeutete aber auch, dass nun alle Welt um die Sache wissen konnte. Die beiden waren so gut wie verheiratet – es sei denn, es wurden Nachrichten über moralische Entgleisungen, bevorzugt der Frau, vorgebracht. Grundsätzlich war das Verlöbnis auch eine rechtliche Angelegenheit. Sollte oder musste es gelöst werden, zog das Schadenersatzansprüche der oder des Betroffenen nach sich, konnte also richtig teuer werden.

Verlobung ist retro

Und Verlobung heute? Welche Bedeutung hat das Eheversprechen, wenn man sich nach ein paar Jahren wieder scheiden lässt. Ideelle Begriffe hinter der Verlobung wie Vertrauen, Ehre, Verbindlichkeit und Elternschaft scheinen eher zu Lippenbekenntnissen geworden zu sein. 2017 wurden in Deutschland 153.501 Ehen geschieden. Wieviele der Partner sich davor wohl verlobt hatten? Vermutlich umso mehr, je kürzer die Ehe gehalten hatte, denn Verlobung ist ja ein aktueller Trend.

Weshalb also verloben sich Paare heutzutage? Meine erste Vermutung: Weil Verlobung – ähnlich wie das Nierentischchen – retro ist, verbunden mit der vagen Hoffnung, auf diese Weise könnte die darauf folgende Ehe ein wenig länger halten. Verlobung bedeutet auch die Verlängerung der romantischen Vor-Ehe-Gefühle. Zu wissen, dass man bald heiratet, in einem Jahr oder zweien, fühlt sich einfach gut an und geht sogar mit einem Statusgewinn einher: „Wir sind verlobt.“ Zumindest die eine oder andere Freundin wir einen beneiden.

Verlobung lässt die Kassen klingeln

Womit wir bei dem womöglich entscheidenden Aspekt der Verlobung angekommen sind: In einer durch und durch materiellen Gesellschaft wäre es doch erstaunlich, wenn hinter einem Trend kein marktwirtschaftlicher Beweggrund stünde. Verlobungen lassen die Kassen klingeln. Das fängt bei der Verlobungsparty an und hört bei der Verlobungsreise auf: „Wählen Sie ganz einfach einen Kontinent und ein Land aus und finden Sie das Traumhotel für Ihre Verlobungsreise.“ Ist also der Verlobungstrend ein von der Accessoire-Branche willentlich herbeigeführter? Ganz unwahrscheinlich ist das nicht. Die Zeitschrift Elle beispielsweise macht einen angeblichen Trend bei Verlobungsringen aus und verkauft diese auch gleich im Internet – scheinbar erfolgreich. Die Preise gehen bis 11.000 Euro. Da erscheint ein Verlobungsring für 5.000 Euro ja geradezu billig.

Mehr Verlobungen, weniger Scheidungen

Dennoch: Eine Verlobung dürfte dem Eheversprechen tatsächlich ein wenig mehr Gewicht verleihen. Immerhin entspricht dem Trend zur Verlobung ein fallender Trend zur Scheidung. Der Scheidungsquote von 51,92 % aus dem Jahr 2005 steht die Quote von 37,67 % aus dem Jahr 2017 gegenüber. Ob zwischen beiden Kurven – der steigenden bei der Verlobung und der sinkenden bei der Scheidung – ein ursächlicher Zusammenhang besteht, lässt sich wissenschaftlich kaum erhärten. Nett ist die Vorstellung jedenfalls schon. Vielleicht ist ja was dran.

P.S. Könnte es auch sein, dass in zunehmend unsicheren Zeiten die Sicherheit der Institution Ehe wieder mehr gefragt ist?