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Die Grundlagen der Liebe (01)

Vertrauen und Liebe gehören zusammen

Haben Sie das schon einmal erlebt: Sie geraten in eine Liebesbeziehung, geben viel oder vielleicht sogar alles von sich, aber es kommt wenig zurück. Der Partner oder die Partnerin mag vielleicht Spaß am Sex haben, aber auf seelischer Ebene bleibt die Liebe stumm?

Wir neigen dann gerne zu Vorwürfen oder Unterstellungen; auf jeden Fall empfinden wir: Er oder sie liebt mich nicht (mehr). Und das kann gut sein, denn wenn die Grundlagen der Liebe nicht oder nur unzureichend gelegt wurden, dann kann sich diese wundervollste aller menschlichen Fähigkeiten nur schwer entfalten.

Vertrauen kann nachwachsen

Die Natur hat es schon gut eingerichtet. Menschen lieben ihre Kinder, normalerweise. Selbst in Frauen, die unfreiwillig schwanger werden, wächst – meist unaufhaltsam – die Liebe zu ihrem Kind. Und Männer lieben ihre Kinder, solange sie wissen, dass es ihre eigenen sind.

Dass Kinder ihre Eltern lieben, wird spätestens dann zur Gewissheit, wenn man selbst welche großgezogen hat. Und so seltsam es vielleicht klingt: Ich denke, beide nähren sich an der Liebe des anderen. Die Liebe der Eltern vermehrt sich durch die Gegenliebe des Kindes und umgekehrt. Das Vertrauen, das einem aus Kinderaugen entgegenleuchtet, ist Seelennahrung pur und entschädigt Eltern für so manche Einschränkung des modernen Lebens, die die Sorge um Kleinkinder mit sich bringt.

Dieses Urvertrauen, dieses Aufgehobensein im elterlichen Nest, wird dann auch zu einer entscheidenden Grundlage für meine eigene Liebesfähigkeit, ja für meine sozialen Kompetenzen ganz generell. Wurde mein Vertrauen von meinen Eltern gestärkt und getragen, kann ich als Erwachsener so manche zwischenmenschliche Enttäuschung hinnehmen; denn aus dem Nährboden meiner Seele wächst das kurzfristig verlorene Vertrauen wieder nach.

Ein Mangel an Liebe schädigt Gehirn und Chromosomen

Umgekehrt richtet Liebesentzug Schaden an. Erstmals wies dies der österreichische Pädiater Meinhard von Pfaundler im Jahr 1901 nach. Er prägte auch den Begriff „Hospitalismus“. Ein grausames Experiment führte Kaisers Friedrich II. im 13. Jahrhundert durch. Er ließ verwaiste Neugeborener Frauen übergeben mit der strikten Anweisung, ihnen alle physische Unterstützung zu geben (nähren, reinigen, baden), ihnen aber jeden seelischen Beistand zu entziehen (keine Liebkosung, kein Wort). Alle starben. Wissenschaftler der Universität Leipzig konnten kürzlich zeigen, dass Liebesentzug die Gehirnstruktur bei Säugetieren verändert. Forscher der Universität Tulane stellten fest, dass Kinder aus Waisenhäusern verkürzte Chromosomenenden haben und schneller altern. Verhalten und Biologie sind offenbar untrennbar miteinander verwoben.

Liebesentzug macht dumm

Besonders deutlich wurde dies an einem Experiment amerikanischer Psychologen, die vom rumänischen Ministers für Kinderschutz eingeladen worden waren. Die Situation in Rumänien nach dem Sturz des Diktators Nicolae Ceauşescu war einmalig. Zigtausende von Kinder waren in schlecht betreuten Waisenhäusern untergebracht, Pflegefamilien gab es nicht. Die Forscher konnten daher ein ungewohntes und ethisch bestens vertretbares Experiment (Bucharest Early Intervention Project) durchführen: Kinder, die isoliert aufgewachsen waren, wurden in Pflegefamilien gebracht, wo sie dauerhaft blieben und ihr Verhalten über viele Jahre hinweg beobachtet werden konnte. Kontrollgruppe waren Kinder, die in der gleichen Region seit jeher bei ihren Eltern gelebt hatten.

Die Ergebnisse waren ebenso beeindruckend wie erschreckend: Kinder, die genug zu essen hatten, waren mangels seelischer Betreuung deutlich kleiner geblieben – im Medizinerslang heißt das  „psychosoziale Kleinwüchsigkeit“ –, konnten aber in ihren Pflegefamilien den Rückstand aufholen. Intelligenztests der Kinder kamen auf einen durchschnittlichen Intelligenzquotienten (IQ) von 73 (IQs unter 70 gelten als „Schwachsinn“, ein normaler IQ liegt bei 100). Nach einiger Zeit bei den Pflegefamilien erholte sich der IQ um ca. zehn Punkte. Alle Waisenkinder zeigten massive Sprachstörungen. Emotionale Störungen wie Angst und Depression sowie Bindungsprobleme und Sprachstörungen linderten sich in den Pflegefamilien, die Verhaltensstörungen aber blieben. Am meisten profitierten Kinder von ihrem neuen Heim, wenn sie vor dem Wechsel jüngere als zwei Jahre gewesen waren. Je älter die Kinder waren, desto unheilbarer blieben die geistig-seelischen Schäden.

Aus allen diesen Untersuchungen und Forschungen sowie dem eigenen gesunden Menschenverstand wissen wir also: Wir können einem Kind gar nicht genug Liebe schenken. Und vielleicht hängt die manchmal geringere Liebesfähigkeit von Männern (so kommt es mir jedenfalls vor) damit zusammen, dass ihre Eltern meinten, einem Jungen weniger Zärtlichkeit und Zuwendung spenden zu müssen.