Kommunismus ohne Marx
Das Weiblich-Werden der Welt
von Christoph-Maria Liegener
Die These
Wird der Kommunismus wiederkommen? Wohl in Zukunft. Es kann allerdings noch eine Weile dauern. Aber dann wird es passieren. Vieles spricht dafür.
Der Kommunismus wurde unter anderen Namen schon im 16. Jahrhundert von Philosophen wie Thomas Morus propagiert. Er sollte schon immer eine paradiesische Gesellschaftsform darstellen und wurde deshalb gern für Utopie gehalten. Erst nachdem Marx und Engels die Entwicklung, die zum Kommunismus führen sollte, im Historischen Materialismus beschrieben hatten, begann die Verwirklichung dieser Gesellschaftsform in der Sowjetunion.
Dort blieb die Entwicklung in der Diktatur des Proletariats stecken. Man begründete das gern damit, dass die Menschheit für diese Gesellschaftsform noch nicht geeignet sei. Das ist nicht ganz richtig. Es braucht keinen Zwang, um den Kommunismus zu erreichen. Der Weg dorthin führt allerdings nicht über die vom historischen Materialismus vorhergesagte Entwicklung. Die Menschheit ist bereit für den echten Kommunismus und er wird sich von allein entwickeln – ohne Marx.
Eine neue Theorie erlaubt jetzt, diese These zu begründen. Es ist die Theorie von der weiblich werdenden Welt (Christoph-Maria Liegener: Die weiblich werdende Welt, 5. Aufl., Books on Demand, Norderstedt, 2022).
Diese Theorie geht vom Begriff des Genders des kollektiven Unbewussten der Menschheit aus. Frauen und Männer zeigen geschlechtsspezifische Verhaltensweisen, die sich nicht nur bei Menschen, sondern auch bei anderen Primaten finden. Diese Eigenschaften fließen ein in die Archetypen von Frau und Mann, wie sie uns zum Beispiel im Yin und Yang begegnen.
Die Kategorien „weiblich“ und „männlich“ gibt es schon seit 600 Millionen Jahren. Damals entwickelte sich die Meiose, jene Zellteilung, bei der es zwei Elternteile mit verschiedenem Geschlecht gibt, deren Chromosomensatz jeweils halbiert wird, um dann mit dem anderen halbierten Chromosomensatz zusammengefügt zu werden. Dies war die Geburtsstunde der Sexualität. Erst dadurch konnte sich die gigantische Vielfalt von Lebensformen entwickeln, die letztlich zur Entstehung der Menschheit führte.
Seither gibt es weibliche und männliche Lebewesen. Frau und Mann unterscheiden sich – nicht nur äußerlich, sondern auch neurologisch, was von Ingarhalikar und Mitarbeitern 2014 gezeigt wurde. Bei Frauen sind die Nervenverbindungen zwischen den beiden Hirnhälften besser ausgeprägt als bei Männern, bei Männern funktioniert die Nervenkommunikation innerhalb der Hirnhälften besser als bei Frauen. Das äußert sich darin, dass Frauen aufmerksamer sind als Männer, ein besseres Gedächtnis haben und über eine bessere Sprach- und Sozialkompetenz verfügen, Männer hingegen ein besseres räumliches Vorstellungsvermögen besitzen und eine bessere Motorik.
Betrachtet man die Entwicklung der Menschheit als Ganzes in ihrer Geschichte und im Hinblick auf ihr Gender, so stößt man darauf, dass sich der Charakter der Menschheit im Lauf der Geschichte mehrfach gewandelt hat und derzeit wieder wandelt. Ganz konkret: In den letzten Jahrhunderten wandelte sich der Charakter der Menschheit von „männlich“ zu „weiblich“.
Es gibt viele Indizien für eine weiblich werdende Welt. Um sie zusammenzufassen, kann man feststellen, dass sich in unserer Gesellschaft ein allgemeiner Wertewandel beobachten lässt, auf den Inglehart in den 90er-Jahren aufmerksam gemacht hat: Dieser Wertewandel äußert sich darin, dass sich der Schwerpunkt dessen, was den Menschen wichtig ist, von materialistischen zu postmaterialistischen Werten verschiebt. Materialistische Werte bezeichnen solche wie körperliches Wohlergehen, Sicherheit und Unversehrtheit. Es sind Werte, an denen sich vor allem Männer orientieren. Sie mussten die handfesten Kämpfe zur Sicherung des Stammes austragen, seine Existenz sichern.
Postmaterialistische Werte hingegen sind solche, die über das Existenzielle hinausgehen und stattdessen die Lebensqualität betreffen: Glück, Gesundheit, Geselligkeit, Kultur. Es sind Werte, um die sich hauptsächlich die Frauen kümmern, die „kleinen“ Dinge des Lebens. Frauen machten die Höhle wohnlich, versorgten die Verwundeten, zogen die Kinder auf und verwöhnten ihre Männer. Damit kann der erwähnte Wertewandel als ein Symptom für einen Wandel der Werte der Menschheit von männlichen zu weiblichen Werten angesehen werden.
Wenn man den Wechsel des Genders der Menschheit als Transgenderisierung bezeichnet, so können folgende Transgenderisierungen der Menschheit identifiziert werden:
Die sich vor vier Millionen Jahren entwickelnden Vormenschen, die Australopithecinen, hatten eine männliche kollektive Psyche. Vor ungefähr zwei Millionen Jahren entwickelte sich die Gattung „Homo“, welche eine weibliche kollektive Psyche besaß. In der Neolithischen Revolution vor etwa 10000 Jahren wurden die Menschen sesshaft und die kollektive Psyche wurde männlich. Ab dem Anbruch der Neuzeit ca. 1500 n. Chr. bis heute begann die kollektive Psyche, allmählich wieder weiblich zu werden.
Betrachtet man die Zeitabstände, wird deutlich, dass die letzte männliche Phase der Menschheit im Vergleich nur ein kurzes Intermezzo in der sonst weiblichen Geschichte der Menschheit war. Dieses kurze Intermezzo hat ausgereicht, um die Menschheit von harmlosen Erdbewohnern zur größten Bedrohung für den Planeten zu machen. Die derzeit laufende Transgenderisierung dürfte daher auch im Interesse unseres Planeten liegen.
Die weiblich werdende Welt
Das Weiblich-Werden der Menschheit vollzieht sich schleichend über Jahrhunderte und wird von den Menschen meist nicht wahrgenommen. Ein Ergebnis des Weiblich-Werdens ist, dass sich in den letzten Jahrhunderten seit 1689 mit der englischen Bill of Rights der Parlamentarismus und die Demokratie immer weiter verbreitet haben – mit temporären Rückschlägen. Die Demokratie ist eine weibliche Regierungsform, Monarchie und Diktatur sind männliche. Das findet seinen Grund darin, dass Männer Hierarchien errichten, Frauen aber Netzwerke knüpfen.
Sicher hat es die Demokratie auch schon einmal in der griechischen Antike gegeben, aber das war eine Ausnahmesituation, die darauf beruhte, dass das antike Griechenland eine homosexuelle kollektive Psyche besaß, die auch weibliche Züge trug.
Der Kommunismus ist eine Manifestation der weiblichen Welt und entsteht im Zuge der weiblich werdenden Welt. Wie kann man das verstehen?
In der Höhle teilten sich die Frauen ihre Werkzeuge, während die Männer sich hundertprozentig auf ihre Waffen verlassen mussten und daher nur ihre eigenen Waffen zur Jagd mitnahmen. Dementsprechend gehörte es zur weiblichen Denkweise, dass Produktionsmittel sich im Eigentum der Gemeinschaft befinden mussten, während Männer ihr Eigentum hüteten wie ihren Augapfel und sich um einen angemessenen Teil an der Beute stritten. Aus diesen uralten Verhaltensweisen haben sich gendertypische Charakteristika entwickelt, die noch kaum bekannt sind: Zur weiblichen Grundeinstellung des Verhaltens gehört es, den Kommunismus zu begünstigen, bei Männern ist es der Kapitalismus.
Das alte kommunistische Ideal der Frauen ging in der männlichen Welt verloren. Erst in der wieder weiblich werdenden Welt entwickelte sich der Sozialismus neu, in dem die Produktionsmittel ins Eigentum der Gemeinschaft übergingen.
Der real existierende Sozialismus zeugte also vom Weiblich-Werden der Welt. Die gewaltsame Machtausübung Lenin’scher Prägung schien zu seiner Durchsetzung notwendig zu sein, war aber letztlich der Grund für sein Scheitern, nicht zuletzt durch das Festhalten an der Planwirtschaft. Die weibliche Organisationsform ist die Demokratie, nicht die Diktatur, die Wirtschaftsform die Marktwirtschaft, nicht die Planwirtschaft.
Die Synthese im dialektischen Dreischritt von real existierendem Sozialismus und Demokratie könnte zunächst der demokratische Sozialismus sein. Die Theorie von der weiblich werdenden Welt kommt also zu dem Schluss, dass der demokratische Sozialismus die Gesellschaftsform der näheren Zukunft ist, auch wenn er dann vielleicht nicht mehr so genannt wird.
Eines fällt ins Auge: Bei der letzten weiblichen Phase der Menschheit vor der Neolithischen Revolution, also in der Gesellschaft der Jäger und Sammler, gab es kein Geld. Man könnte also erwarten, dass auch die zukünftige Menschheit kein Geld mehr braucht. Hier zeigt sich, in wie langfristigen Maßstäben der Wandel ablaufen wird. Man kann das Geld nicht von heute auf morgen abschaffen und dennoch wird es eines Tages überflüssig sein.
Wenn in der jetzigen Transgenderisierung die Menschheit wieder weiblich wird, so dürfte auch die Gesellschaftsform derjenigen der Jäger und Sammler ähnlich werden. Der demokratische Sozialismus könnte nur der erste Schritt sein. Später könnte sich ein reiner Kommunismus entwickeln.
Die Phase der Jäger und Sammler war auch im Historischen Materialismus schon identifiziert worden. Lewis H. Morgan und Friedrich Engels bezeichneten diese Gesellschaft als die Urgesellschaft. Im Historischen Materialismus gilt die entsprechende Gesellschaftsform als der Urkommunismus. Geprägt wurde diese Zeit durch Anarchismus und ein Matriarchat. Sie wurde nach Engels beendet durch das Aufkommen der Klassenteilung, die Entstehung des Staates und die Unterdrückung der Frauen.
Das ist genau das, was in der Theorie von der weiblich werdenden Welt als die vorletzte Transgenderisierung der Menschheit bezeichnet wird. Der Urkommunismus besaß demnach eine weibliche kollektive Psyche. Damit erklärt sich, dass diese Zeit anarchisch war und weibliche Züge trug. Frauen und Männer waren in dieser Gesellschaft gleichberechtigt, nur die kollektiven Verhaltensweisen waren weiblich, was auch die Venusfiguren jener Zeit erklärt, die später wieder verschwanden.
Kehren wir also mit der jetzigen Transgenderisierung in die Steinzeit zurück? Nein, die technischen und geistigen Errungenschaften der männlichen Phase bleiben uns erhalten, nur die Gesellschaftsform ändert sich. Wir bewegen uns wie auf einer Wendeltreppe aufwärts und kehren zum vorherigen Zustand auf einer höheren Ebene zurück. Bereits im Historischen Materialismus wird ein dialektischer Dreischritt angedeutet. Urgemeinschaft, Kapitalismus und schließlich Kommunismus. In der Sprache der Theorie von der weiblich werdenden Welt bedeutet das: Die Gesellschaft war weiblich, dann männlich und wird wieder weiblich.
Unterschiede zum Historischen Materialismus
Marx und Engels haben diese Entwicklung vorausgesagt. In ihrer Theorie gingen sie jedoch noch davon aus, dass man dafür kämpfen müsse. Marx spricht davon, dass er die Philosophie Hegels „vom Kopf auf die Füße“ stelle. Während bei Hegel die Geschichte (übrigens eine andere als die von Marx vorhergesagte) durch die Verwirklichung des Weltgeistes entstehe, seien es bei ihm, Marx, die Menschen, die die geschichtlichen Entwicklungen hervorbringen müssten, da die Wirklichkeit nur materiell erklärbar und auch nur durch materielle Geschehnisse zu beeinflussen sei.
In der Theorie von der weiblich werdenden Welt brauchen die Menschen nichts mehr für die Entfaltung der Geschichte zu tun. Es ist auch nicht der Weltgeist, der die Entwicklung zustande bringt, sondern das kollektive Unbewusste der Menschheit, das psychologischen Gesetzmäßigkeiten folgt. Es handelt sich dabei um eine langfristige Entwicklung, die sich nicht beeinflussen lässt.
Entsprechend folgt aus der Theorie von der weiblich werdenden Welt auch kein politisches Programm. Es gibt nichts, was getan werden muss. Alles geschieht von allein.
Man könnte einwenden, dass ja immerhin eine Revolution notwendig war, um den real existierenden Sozialismus in die Welt zu bringen. Das ist richtig und ist ja auch von Marx und Engels so vorhergesagt worden. Trotzdem haben die Massen, die diesen Umsturz zustande gebracht haben, nichts von der weiblich werdenden Welt gewusst. Sie haben ihre Rolle gespielt, getrieben von Not und geführt von Idealisten. Andere Ereignisse hätten möglicherweise in eine ähnliche Richtung geführt, eventuell auch in eine ganz andere Übergangsform. So lässt sich der Verlauf der Geschichte auch jetzt nicht vorhersagen, auch wenn das Ergebnis einer weiblichen Welt feststeht. Und dann kommt der wahre Kommunismus.
Der wahre Kommunismus wird eine Erscheinung der weiblichen Welt sein. Das bedeutet, dass die Menschen nicht nur in materieller Hinsicht gleich sein werden, sondern auch in sozialer Hinsicht. Es wird keine Rangfolgen mehr geben. Bekannt ist, dass Frauen Netzwerke knüpfen, während Männer Hierarchien errichten. Im Kommunismus der Zukunft wird es keine Hierarchien mehr geben, auch keine Funktionäre. Alle werden sich lieben, ähnlich wie im Urchristentum. In diesem Stadium wird der Kommunismus tatsächlich eine paradiesische Gesellschaftsform sein.