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Bernhard und Nicole

Es gibt Augenblicke, die verändern unser Leben.

Von jetzt auf gleich.

Ein solcher magischer Moment trug sich zu am Karsamstag des Jahres 2024.

Es war ein durchwachsener Samstag. Wettertechnisch. Und auch sonst.

In der Kö Galerie herrschte Post-Corona-Katerstimmung.

Ein Großteil der Geschäfte war geschlossen. Tristesse und wirtschaftliche Depression waren spürbar.

Selbst der Kult-Metzger, bei dem man vor Jahren nur nach ewigem in der Schlange stehen an die Reihe kam:

Fermez! Kaum Menschen schlenderten durch die sonst so von fröhlichem Volk bewanderte Galerie. Die wenigen Gestalten hielten die Köpfe nach unten und schlichen geduckt durch die vormals fröhlich belebten Gänge der Galerie.

Glamour und Glanz? Fehlanzeige! Jeans, Turnschuhe und graue Gesichter hatten die ehemalige Mode-Metropole erobert.

Ganz klar: Düsseldorf hatte schon bessere Zeiten gesehen!

 

Der ehemalige Weinkommissar, in dem es vor freudvoll weinbeseelten Menschen der Düsseldorfer Schickeria seinerzeit

wimmelte – einen Platz an einem Samstag zu bekommen, glich einem Sechser im Lotto –, er war leer. Depri-Stimmung herrschte vor.

Die Kellnerin hinter dem Tresen kaute gelangweilt Fingernägel.

Es gab keine Gäste.

Bis auf eine auffällige Lady, die in sich versunken an einem der hohen Bartische saß, in ihrem Kindle las und sich offensichtlich wohlfühlte.

Dabei flitzte immer wieder ein schelmisches, gar glückliches Lächeln über ihr schönes Gesicht mit den slavischen Wangenknochen, rosenroten Lippen und grünen Schalkaugen. Darüber: eine hohe Wolke aus schokobraunem Haar, kunstvoll aufgetürmt wie im Rokoko-Stil. Tatsächlich, die Lady sah aus, als wäre sie ein wenig aus der Zeit gefallen.

Ein sympathischer Mann mit kurzen weißen Haaren, durch die er sich ständig fuhr, so als wolle er seine cleveren Gehirnzellen immer wieder aktivieren, näherte sich der desolaten Champagnerbar und bestellte einen Wein. Er blickte auf die lesende Lady und bewunderte ihr aufwendiges, weit ausgeschnittenes, bauschiges Cocktail-Kleid.

„Sie sieht aus, als wolle sie auf einen Ball gehen!“, schoss es ihm durch den Kopf.

Seine Neugier war geweckt und unstillbar.

Er trank sich ein wenig Mut an, dann lächelte sein freundliches, fast Buddha-artiges Gesicht und seine sinnlichen Lippen konnten nicht anders, als sie anzusprechen.

„Darf ich fragen: Welche Literatur vermag es, so ein liebliches Lächeln auf Ihre Lippen zu zaubern?“

Sie blickte auf. Neugierig, aber auch etwas abweisend. Welcher Unhold wagte es wohl, sie in ihrer Zurückgezogenheit in sich selbst zu stören?

Sie erblickte seinen schlanken, dezent, aber durchaus geschmackvoll gekleideten Körper, sein freundliches Gesicht und seine lächelnden Lippen.

Anders als bei vielen Kerlen hatte er keinen Strich, sondern einen sinnlich-vollen Mund.

‚Gut. Denn ich habe mir geschworen, nie wieder mit einem lippenlosen Mann zusammen zu sein!‘, urteilte die Lady, die sich nun von ihrer Lektüre abwandte und den Kindle schloss.

„Nun, ich lese mein eigenes Buch und bin gottfroh, dass es mir sehr gut gefällt!“

Sie lächelte ihn breit an. Er wagte sich zu ihr an den Tisch.

„Darf ich …?“

Sie nickte gnädig. Ihre Haartolle, fest fixiert mit 3 Wetter Tuff, wackelte nur leicht.

„Gerne!“, lud sie ihn ein, an ihrer Seite zu sitzen. Er stellte sich erst einmal zu ihr. Frauen anzusprechen, war nicht seine Art.

So blieb er im Fluchtmodus, damit sein Karate-gestählter Körper schnell fliehen konnte, sollte es notwendig sein.

„Wow! Ich bin begeistert. Sie schreiben Bücher! Wovon handelt Ihr Werk?“, wagte er sich mutig vor.

„Göttliche Gemetzel. Es geht um eine Liebe, die auch nach dem Tod bestehen bleibt! Der verstorbene Ehemann sitzt auf einer Wolke. Er kann sich noch nicht entscheiden, in den Himmel einzutauchen. Von seiner Reservebank aus beobachtet er, was seine geliebte Ehefrau so treibt. Er hat ein Fernglas und ein Sprachrohr und beobachtet sie. Er kann sie nicht loslassen, will sie noch immer zurück. Während sie auf der Erde eine harte Battle durch das Business und die Betten durchsteht!“

 

Seine warmen braunen Augen mit grünen Sprenkeln weiten sich.

Entrüstet erwidert er: „Das finde ich aber nicht fair!“

Sie grinst und sieht ihn dann nachdenklich an, ihre hellgrün-türkis-grau gesprenkelten Augen verdunkeln sich. „Da haben Sie wohl recht. So gänzlich fair ist das nicht. Aber eine Liebe loszulassen, ist eine schwere Herzensaufgabe!“ Sie weiß, wovon sie spricht.

Sie nimmt einen letzten Schluck Rosé-Wein. Das Glas ist leer. Er ist ein aufmerksamer Kavalier. „Darf ich?“

Er winkt der Kellnerin zu, die gelangweilt hinter dem menschenleeren Tresen steht. „Noch eine Runde für die liebliche Lady und ein Glas für mich!“ Der Nachschub für die durstigen Kehlen ist geordert und wird gebracht.

Sie stoßen an. „Ich bin Bernhard. Entzückt, Sie kennenzulernen!“ Die Formalität seiner Aussage entzückt …

„Nicole, Unternehmerin und Schriftstellerin. Es ist schön, Sie hier zu treffen in diesem leider so leeren Ort des Pläsiers!“

 

Bernhard nimmt nun Platz. Er schwingt sich gelenkig auf den Barhocker, neben dem Nicole in ihrem Rokoko-Outfit thront.

Er wird kess. „Wo haben Sie Ihren Roman geschrieben? Woher nehmen Sie Ihre Inspirationen?“, fragt er ernsthaft interessiert und neugierig. Ein schwärmerischer Ausdruck stiehlt sich auf ihr sehr weibliches, sinnliches Gesicht.

„Auf Sizilien. Piazza Uberto, in der Wunderbar in meinem Lieblingsort Taormina!“

Er bekommt ebenfalls einen schwelgerischen Gesichtsausdruck. „Das ist ein wunderbarer Ort. Der Duft nach Zitronen. Die schönen, schlendernden Menschen, das traumhafte Essen und der Wein …“

Nicole nickt erneut. Nun begeistert. „Das ist mein Seelenort!“

„Da sollten wir einmal gemeinsam hinfahren!“, wagt er sich sehr weit aus dem Fenster.

Sie sieht ihn intensiv an. Strahlend. Allerdings auch mit einer gewissen Skepsis.

‚Wir kennen uns erst seit einer Stunde und schon will er mit mir nach Sizilien fahren! Geht das nicht ein wenig schnell?‘

Sie blickt auf die diamantbesetzte Dolce & Gabbana-Uhr und seufzt. Es ist 18 Uhr. Sie hat ein Date. Eine Dinner-Einladung im noblen Breidenbacher Hof. Dabei wäre sie eigentlich lieber bei Bernhard geblieben, der schon nach kurzer Zeit eine Art von Seelenpartner zu sein scheint.

„Das wäre zauberhaft! Aber ich muss leider eilen. Ich habe eine Dinner-Einladung …!“

Sie klettert elegant den Barhocker herunter. Er bewundert ihre zarte und verletzliche Aura, als sie da so elegant auf ihren High Heels vor ihm steht. Sie ist kleiner als erwartet, und ihre mädchenhafte Schüchternheit berührt sein Herz. Sie ordert ein Taxi.

Dann gibt sie ihm eine goldene Visitenkarte. „German Wunderwerk“. Er ist beeindruckt. Bernhard ist Doktor der Physik und oftmals so in den Tiefen seiner Chemie-Forschung zur alternativen Gewinnung von Wasserstoff versunken. Ähnlich wie Nicole in ihre Bücherwelt.

 

Er hat natürlich keine Visitenkarte dabei. Er ordert bei der Kellnerin einen Schreiber und ein Blatt Papier. Das gibt es hier nicht. „Wir sind eine Weinbar. Kein Schreibwarengeschäft!“, stellt die Kellnerin bedauernd klar.

Bernhard ist kreativ. Er nimmt eine Serviette und schreibt seine Kontaktdaten darauf. Er gibt Nicole die Serviette mit einem hoffnungsvollen Blick. „Ich freue mich auf unser Wiedersehen!“

Sie lächelt ihn zärtlich an. „Ich mich auch, Bernhard!“ Dann rafft sie ihre

Röcke und eilt, ohne sich noch einmal umzudrehen, aus der nun fast menschenleeren Kö Galerie zum Taxi.

‚Wen sie wohl im Breidenbacher Hof trifft – und werde ich sie jemals wiedersehen?, fragt Bernhard sich, während er ihr sehnsüchtig nachsieht.

 

Nun, Chérie, diese Begegnung ist nun sechzehn wundervolle Wochen her, die sich so intensiv anfühlen, als seien es bereits Jahre.

Ich bin dankbar dafür, dass es Dich, dass es UNS gibt, und ich freue mich auf jede weitere gemeinsame Sekunde, Minute, Stunde …

Mit Dir, mon Amour, Karate-King und Indiana Jones. Diese Geschichte musste einfach niedergeschrieben werden, wozu ich mir heute unbedingt Zeit nehmen wollte. Danke dafür, dass Du so verständnisvoll bist. Schreiben ist nun einmal eine einsame Angelegenheit, aber umso schöner ist dann die „Zeit der Zärtlichkeitsmomente“ unserer Gemeinsamkeit. Mögen sie niemals enden.

 

In Liebe, Dein Roeslein Nici