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Liebe zwischen den Geschlechtern ist ein Glaubenssatz, eine mentale Infusion. Nur weil sie uns von früher Kindheit an via Illustrierten, Filmen und Romanen eingetrichtert wurde und wird, muss dieser Mythos noch lange nicht wahr sein. Oder doch?

Ich weiß: Jetzt ernte ich nicht nur Kopfschütteln, sondern Vermutungen über meinen Geistes- bzw. Seelenzustand. Ich kann euch versichern: Ich bin durchaus bei Troste. Und ich bin seit 1979 verheiratet, mehr oder weniger glücklich (was auch immer das heißen mag). Oder ist das eher ein Hinweis, dass ich doch gestört bin?

Spaß beiseite: Wie kann man nur an der Wahrheit der „Liebe zwischen den Geschlechtern“ zweifeln? Nun, es hat im Jahr 1600, als die Hexenverbrennungen ihren Höhepunkt hatten, auch Menschen gegeben, die an der Existenz von Hexen gezweifelt haben. So viel zum gesamtgesellschaftlichen Konsens von Wahrheiten.

Was nährt also meinen Zweifel an der „Liebe zwischen den Geschlechtern“? Zum einen ganz banale Einsichten: So gut wie jeder glaubt zwischen seinem 14. und 30. Lebensjahr, die oder den RICHTIGEN gefunden zu haben, den EINZIGEN oder die EINZIGE, AUSERWÄHLTE. Je weniger Erfahrung wir haben, desto leichter bilden wir uns das ein. Und je unerfahrener, gieriger bzw. ausgedürsteter wir sexuell sind. Es ist so, als hätte die Evolution eine Art Bratpfanne aufs Feuer unserer Hormone gestellt, und je nachdem, ob wir mehr auf Hausmannskost, chinesische Küche oder Steak getrimmt wurden, steigt uns der verführerische Duft einer appetitlichen Geschlechtsmahlzeit in die Psycho-Nase. Noch nie, meinen wir, hätten wir so etwas Köstliches auf dem Teller gehabt wie IHN oder SIE; das muss sie sein, endlich – die große Liebe.

Pardon für den banalen Bratpfannen-Vergleich. Ich will damit nicht all jene hohen Gefühle verunglimpfen, die bei menschlichen Geschlechtsritualen im Spiel sind. Der Vergleich kam mir vielleicht, weil ja gerade jetzt die Geschlechter wieder ihre Reize und Körpersignale aufs Köstlichste auspacken. Das Ergebnis ist vorherseh- und -sagbar: neue Liebesbeziehungen, neue Affären, neue Seitensprünge, neue Kinder, neue Hoffnungen, neue Enttäuschungen, neue Seelenqualen. Und auch: viele vorgetäuschte Orgasmen.

Bei genauer Betrachtung glaubt freilich kaum jemand, dass es nur die oder den einen gibt. 99 Prozent aller Liebeskummer-Fälle lösen sich von alleine auf, indem ihre Ursache durch eine gleichwertige Alternative gelöscht oder wenigstens ausbalanciert wird. Was war also dann die große Liebe? Die Beziehung davor oder die danach? Und nicht ganz zufällig sinkt die Rate spontaner Verliebtheiten mit wachsender Geschlechtererfahrung. 80-Jährige verlieben sich nicht deswegen weniger, weil sie es nicht mehr könnten, sondern weil sie ganz einfach sehr viel mehr um den Trug wissen, der in der Luft liegt, wenn die Hormone mal wieder auf die Hirnanhangdrüse durchgreifen.

Was alles nicht heißen soll, Liebe machte keinen Spaß. Ja doch, tut sie.

[Foto: pixabay_miapowterr]