Ein afrikanisches Märchen
Stellt euch ein Dorf vor, ein afrikanisches Dorf, mit Ziegen, runden Lehmhäusern, Palmen, einem Brunnen … Hunden, Menschen … heißer Sonne und einem großen Wald nebenan. In diesem Dorf lebten ein Mann, seine Frau und ihr Sohn. Der Sohn wurde groß mit den Worten: „Wenn du mit einer Jungfrau schläfst, wirst du sterben!“ – Der Vater sagte es und die Mutter sagte es. So wuchs der Junge heran, und als er in das Alter kam, da er nach den Mädchen sah und sie nach ihm … da … eines Tages nahm ihn der Vater und führte ihn in den Wald. Die Eltern hatten ihm eine Hütte gebaut. „Hier wirst du wohnen“, sagte der Vater. „Wir wollen nicht, dass du stirbst. Hier wirst du keine Jungfrau treffen.“ Sie brachten ihm das Essen.
Doch der Wille der Eltern ist eins, die Kraft des Lebens etwas anderes. Denn, na klar, kam ein junges Mädchen vorbei und sie spielten miteinander. Sie entdeckten sich und den Wald. Am Abend sagte der Junge zu dem Mädchen: „Wenn ich einmal mit dir schlafe, werde ich sterben. Es wird sein, als ob sich ein Schwert in mein Herz bohrt, sagte mein Vater.“ „Dann werde ich nicht wiederkommen!“, antwortete das Mädchen. „Doch, bitte komm wieder.“ Und so kam es wieder und sie entdeckten sich und den Wald. Und eines Tages liebten sie sich und schliefen miteinander, und so wie der Vater und die Mutter es prophezeit hatten, geschah es: Der Junge starb.
Und das Mädchen? Es ging in den Wald zu einem alten Jäger und erzählte ihm, was geschehen war. Der alte Jäger war vertraut mit dem Tod und sagte: „Das ist kein Problem.“ Er nahm eine Eidechse, die er im Gras fand, und steckte sie in die Tasche und dann gingen sie ins Dorf. Die Eltern hatten den toten Jungen gefunden und ihn unter großem Wehklagen in die elterliche Hütte zurückgebracht. Das ganze Dorf begann zu klagen. Da trat der Jäger mit dem jungen Mädchen in die Hütte: „Klagt und jammert nicht!“, rief der alte Jäger. „Der Junge ist noch nicht tot! Errichtet einen großen Reisighaufen auf dem Dorfplatz und legt den Jungen darauf. Dann zündet das Reisig an. Ich werde eine Eidechse in die Flammen legen. Und wenn ihr es schafft, sie herauszuholen, dann kommt der Junge ins Leben zurück. Schafft ihr es nicht, so wird er verbrennen.“
Die Dorfbewohner hatten Vertrauen zu diesem alten Mann und taten, wie er es ihnen geheißen hatte. Als die Flammen züngelten, trat die Mutter an das Reisig heran und wollte die Eidechse herausholen, doch die Flammen schlugen ihr ins Gesicht, sodass sie erschrocken zurückwich. Auch dem Vater ging es nicht anders. Und die junge Frau? Sie sprang mitten in das Feuer hinein und trug die Eidechse aus dem Feuer. Der junge Mann erwachte und erschrak, als er sich auf dem Feuerhaufen liegen sah. Schnell sprang er herunter, und die Trauer wandelte sich in Freude und ein großes Fest wurde gefeiert.
Am Abend wandte sich der alte Jäger an den jungen Mann und die junge Frau, den Vater und die Mutter, und sie gingen ein Stück beiseite. Der Jäger nahm die Eidechse wieder und zog ein Schwert. Das gab er dem jungen Mann und sagte: „Wenn du die Eidechse tötest, dann wird deine Mutter sterben und du wirst mit deiner Frau weiterleben. Tötest du sie nicht, dann wird deine Frau sterben und du wirst mit deiner Mutter weiterleben.“
Was würdest du tun?
Erzählt von Fank-Ole Haake nach „Michael Meade: Die Männer und das Wasser des Lebens“
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