Schlagwortarchiv für: Offenheit

Das Weiblich-Werden der Welt

von Christoph-Maria Liegener

Die These

Wird der Kommunismus wiederkommen? Wohl in Zukunft. Es kann allerdings noch eine Weile dauern. Aber dann wird es passieren. Vieles spricht dafür.

Der Kommunismus wurde unter anderen Namen schon im 16. Jahrhundert von Philosophen wie Thomas Morus propagiert. Er sollte schon immer eine paradiesische Gesellschaftsform darstellen und wurde deshalb gern für Utopie gehalten. Erst nachdem Marx und Engels die Entwicklung, die zum Kommunismus führen sollte, im Historischen Materialismus beschrieben hatten, begann die Verwirklichung dieser Gesellschaftsform in der Sowjetunion.

Dort blieb die Entwicklung in der Diktatur des Proletariats stecken. Man begründete das gern damit, dass die Menschheit für diese Gesellschaftsform noch nicht geeignet sei. Das ist nicht ganz richtig. Weiterlesen

von Claudio Hermani, Hermani Heritage

Kim erwachte durch einen Sonnenstrahl, der ihr durch den Spalt zwischen den schweren leinenen Vorhängen auf die Augenlider gewandert war.

Es dauerte einen winzigen Augenblick, bevor sie das Zimmer erkannte, einen weiteren, um zu denken, dass doch eigentlich schlechtes Wetter angesagt war.

Sie sprang aus dem Bett, zog beide Stores zur jeweiligen Seite, öffnete die Glastüren und trat auf den Balkon.

Sie jauchzte, begeistert von den riesigen, weißen Bergen, dem tiefblauen Himmel, der eiskalten Luft, deren sauberer Duft sie sofort in ihre Kindheit beförderte und ebenso schnell erschaudern ließ.

 

Die Wohnung ihrer Freunde war gut ausgestattet, sie fand eine kleine, altmodische Espressomaschine auf dem Herd, Kaffee hatte sie am Abend vorher im Dorfladen gekauft, zusammen mit Bündnerfleisch, Bergkäse, guter Schweizer Butter, knusprigen Bürli und ein paar Flaschen Veltliner.

Sie hatte den Kamin angemacht, ein weiterer Duft, der ihr fehlte, und das Abendessen genossen. Alleine, ohne TV oder Radio, nicht einmal Musik hatte sie angestellt, um das Knistern des Feuers besser hören zu können – und die Stille des Hauses.

Was ihr überhaupt nicht fehlte, war Robert.

Nicht sein Fahrstil auf dem Weg hierher, nicht seine Hilfe beim Herauftragen der Taschen, nicht sein exakt 50%-Beitrag beim Einkaufen.

Und nicht den Sex mit ihm, bei dem er sich, ähnlich wie beim Autofahren, zwar zielstrebig zeigte, aber auch eigensüchtig, zu schnell, an anderen Verkehrsteilnehmern uninteressiert.

 

Im Keller fand sie passende Skischuhe, Skier, Stöcke und war tatsächlich vor neun Uhr aus dem Haus.

Auf dem Weg zur Talstation der großen Seilbahn hatte sie am Abend vorher einen Sportladen gesehen, wo sie die Bindung auf ihr Gewicht einstellen ließ.

Die Tageskarte war wirklich sehr teuer, als Kind hatte ein Abonnement für die ganze Saison gerade drei Mal so viel gekostet; sie hatte einmal einen ganzen Winter hier oben verbracht, mit ihrem Vater, der das immer so machte.

Das Wetter hatte sich nun doch zum Schlechteren geändert, ab einer gewissen Höhe fing es an zu schneien, und auch der Wind nahm zu.

Als sie oben angekommen war, überlegte Kim, ob sie zum Aufwärmen zurück zur Talstation fahren sollte, entschied sich dann aber doch, weiter hochzufahren.

 

Diesmal saßen sie zu dritt in einer der kleinen Gondeln, die aus dem gleichen Gebäude starteten.

Sobald sie dieses verlassen hatten, brachte der Wind die Kabine derart zum Schwanken, dass Kim mit der Schulter gegen ihren Nachbarn prallte.  Der andere der beiden Männer schob das kleine Fenster nach oben, wodurch das laute Pfeifen ein wenig nachließ.

Grinsend schaute Kim die beiden an und sagte:

„Schön, zwei starke Männer dabei zu haben! Ich hoffe, ihr beide seid Cowboys, das sieht nach einem ziemlich wilden Ritt aus! Ich bin übrigens Kim.“

Ihr Gegenüber schien von der Situation alles andere als belustigt und sagte mit wütender Stimme: „Auf diese Art von Ritt kann ich verzichten! Wieso haben die Idioten uns überhaupt losfahren lassen, das ist unverantwortlich! Und ich habe Höhenangst!“

Mit jeder Schaukelbewegung wurde er ernster und ein wenig bleich noch dazu.

Der Mann neben ihr schien zwar auch beunruhigt, hatte aber immerhin die Kraft, sich vorzustellen: „Hallo Kim, ich bin Erik. Freut mich, dich kennenzulernen, wenngleich mir ein etwas weniger begleitendes Drama lieber gewesen wäre!“

„Benedict“, sagte der andere knapp.

Na toll, dachte Kim bei sich, von wegen starke Männer, ich bin scheinbar am wenigsten verängstigt.

 

Im gleichen Augenblick blieb die Gondel stehen.

Das heißt, es gab keine Vorwärtsbewegung mehr, denn seitwärts pendelten sie dermaßen, dass sie sich alle drei in jede Richtung abstützen mussten, um nicht von den Sitzen zu rutschen.

Dabei kam es zu mehrfachen Berührungen von Armen und Beinen, die jeder aber ohne Kommentar hinnahm. Derart verankert konnte man das Geschaukel ertragen, wenn auch das damit einhergehende Quietschen und Stöhnen der Struktur beängstigend war.

„Ich bin ja nur froh, dass wir in der Schweiz sind“, sagte Benedict, „die Seilbahn dürfte zumindest gut gewartet sein und gut gebaut. Machen sie ja schon lange genug!“

Das Schneetreiben war inzwischen so dicht, dass sie weder die Gondel vor noch hinter sich sehen konnten.

Ein Glück aber, dass sie nicht neben einem Pfeiler zum Stehen gekommen waren, sie hörten das Scheppern einer anderen Gondel, die gegen etwas knallte.

Alle drei zückten gleichzeitig ihr Telefon, nur um sich gleich darauf kopfschüttelnd anzusehen: kein Netz.

Sie versuchten zu erkennen, wie hoch sie über dem Boden waren, zwischen zwei Schneeböen, aber es sah auf jeden Fall zu hoch aus, um zu springen oder sich abzuseilen. Ganz abgesehen davon, dass es kein Seil gab!

 

„Dann können wir nur hoffen, dass es irgendwann weitergeht“, sagte Erik, „die Nacht könnte echt ungemütlich werden! Ist dir kalt?“, fragte er Kim.

„Alles gut“, sagte sie, „den Anzug habe ich vor zwei Jahren für eine Reise nach Sibirien gekauft, wir waren Motorschlitten fahren auf einer Datscha bei Novosibirsk. Der hält bis minus 30 Grad!“

Die beiden schauten sie bewundernd an, fragten abwechselnd nach, jeder erzählte ein wenig, man lernte sich kennen, eine etwas bessere Stimmung entstand, trotz des Pfeifens und Schaukelns.

Sie hatten ihre Helme abgenommen, und Kim sah von einem zum anderen. Erik war etwa so alt wie sie, um die dreißig, Benedict vielleicht zehn Jahre älter.

Er hatte einen ganz leichten französischen Akzent, während Erik wohl ein local boy war, aber mit gutem Hochdeutsch, von der Arbeit, tippte sie.

„Wenn du in Sibirien zurechtkamst, hast du wahrscheinlich auch hier eine clevere Idee?“, sagte er mit einem kleinen Lächeln, „mir wird nämlich jetzt schon kalt!“

Darauf zog Benedict, ohne zu zögern, einen silbernen Flachmann aus einer Brusttasche des Anoraks, und sie nahmen alle einen kleinen Schluck – sehr guter Kirsch.

Dabei sahen die Männer sich abschätzend an, ein kleiner Wettkampf lag in der Luft, und Kim empfand die Aufmerksamkeit als eine wohltuende, warme Welle.

 

Nun schauten sie sich die Gondel näher an. Es gab natürlich keine Verbindung zur Talstation. Nach einigen Versuchen fand Erik aber einen Weg, die Schiebetür zu entriegeln. Vorsichtig schob er sie auf, und sie blickten nach unten, während Benedict sich in die hinterste Ecke klammerte und der Wind mit voller Wucht in die Kabine blies. Erik schob sie schnell wieder zu, nachdem Kim und er erkannt hatten, dass es zum schneebedeckten Boden mindestens zehn Meter waren, ein Sprung war ausgeschlossen.

Erik rückte etwas näher an sie heran, sie spürte seinen Oberschenkel und konnte sein Parfum riechen – gut, vielleicht Hermès?

Sie fand es jedenfalls nicht unangenehm, vielleicht wärmte man sich so gegenseitig.

Benedict schien sich eher an etwas festhalten zu wollen, er rückte etwas nach vorne und legte seine Hände auf Kims Knie, wie um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

„Erzähl ein wenig von dir“, sagte er, in ihre Augen schauend, „was machst du, wo bist du her, wo lebst du, und mit wem?“

„Oh, Monsieur Benedict“, antwortete sie belustigt, „Sie wollen aber viele Dinge wissen! Nun, ich bin in der Schweiz groß geworden, und im Winter kam ich mit meinen Eltern hierher, wir hatten ein Haus über dem Suvretta Hotel. Jetzt lebe ich in Frankfurt, wo ich in einer Werbeagentur arbeite.“

„Und jetzt ein paar Tage in den Bergen, um kreative Energie zu tanken? Alleine, weil dein Freund wahrscheinlich Banker ist und gar keine Zeit hat für dich, neben der Arbeit?“

Erik bewegte sich neben ihr, drückte sein Bein ein wenig stärker gegen ihres.

„Ich glaube, dass Kim ganz gerne Dinge alleine unternimmt, stimmt’s? War der Kerl in Sibirien dabei? Nein? Dachte ich mir. So ein Dummkopf!“

Jetzt musste Kim laut lachen, schaute erst Erik, dann Benedict belustigt an:

„Nicht schlecht, ihr zwei, fast alles richtig geraten! Ich bin mir tatsächlich nicht sicher, ob mein Banker der Richtige für mich ist, und genieße schon immer meine Freiheit und Unabhängigkeit. Und hier oben ist schon die Luft so, dass man klarer im Kopf wird!

Außer man ist mit zwei Unbekannten in einer winzigen Kugel eingesperrt! Könnten die Herren auch ein wenig von sich preisgeben? Monsieur? Nun?“

Ein weiterer, noch stärkerer Windstoß brachte die Gondel fast in die Horizontale, Benedict schrie auf. Kims und Eriks Kopf wurden zusammengedrückt, und da sie sich gerade anschauten, ergab sich eine Art Kuss, wenn auch ein etwas schmerzhafter.

Erik legte aber, wie um sich festzuhalten, seine Hand hinter ihren Hals, zog sie zu sich und küsste sie weiter. Das und Benedicts Hände, die sich sachte auf der Innenseite ihrer Schenkel hinaufbewegten, erzeugten ein wahres Neuronenfeuer in Kims Kopf, sie ergab sich ihm und genoss einfach den Moment. Der andauerte, anschwoll, immer intensiver wurde, bis sie tatsächlich mit einem kleinen Schrei, nun ja, kam.

 

Die Welt stoppte für einen Augenblick, es wurde still, nichts schaukelte, nichts pfiff. Die drei verharrten ebenfalls unbewegt, Benedict zog ganz vorsichtig seine Hände zurück, bis sie wieder auf Kims Knien lagen. Erik hielt weiterhin Kims Hals von hinten und ließ seine Stirn an ihrem Kopf ruhen. Sie atmeten still, die Augen geschlossen. Ein kleines Wunder.

Aber wie ein geworfener Stein Wellen im See erzeugt, die bis zum Ufer kommen, schien das Feuerwerk an Energie aus der Gondel hinauszusprühen, an den Kabeln entlang, bis zu beiden Enden.

Die Gondel setzte sich in Bewegung.

Kim öffnete die Augen, gab Erik einen Kuss auf die Wange und danach auch Benedict.

Sie lachte, erst verhalten, dann laut, natürlich, voller Freude und scheinbar ohne Beschämung, bis sich auch auf den Gesichtern der Männer ein Grinsen einstellte.

Jeder lehnte sich zurück, sie schauten sich an, und Kim sagte endlich:

„Das werde ich euch nie vergessen! Ihr seid … wundervoll! Danke!“

Jetzt machte sich eine Ausgelassenheit breit, alle lachten, die Männer bemerkten abwechselnd etwas über den Start der Bahn, über den nachlassenden Wind, über die bessere Sicht.

Kim war nun doch ein wenig verschämt, sie schien in sich zu blicken, sich selbst erklären zu wollen, wie so etwas denn passieren konnte, die Situation, die Anspannung, ihr Bedürfnis.

Da sagte Benedict leise, aber bestimmt: „Wir werden das ganz genau so handhaben, wie DU willst, Kim. Es ist nie passiert, und jeder geht seiner Wege. Oder ich darf euch nach der nächsten Abfahrt zum Mittagessen einladen, ich fände sogar ein Glas Champagner angebracht. Kim entscheidet – nicht wahr, Erik?“

„Natürlich“, antwortete dieser, blickte Kim dabei aber sehnsüchtig an.

Kim schaute vom einen zum anderen, ihr schönstes Lächeln erschien, und sie sagte:

„Jeder seiner Wege? No, no, no! Der Champagner ist genau richtig, wobei ich diejenige bin, die einladen sollte, oder? Wir haben aber auch unsere Rettung zu feiern und werden die Bläschen als Guides für unsere weiteren Wege nehmen, einverstanden?

Meine Freiheit wird die Deine

Wenn Du an Dir Du selber wirst

Die Quelle Deiner Liebe strömt in meine

Wenn Du Dich in Dich selbst verlierst

Liebe will Liebe

Aus dem Tiefenrausch, dem Grund

Liebe will Liebe

Allmacht, Ja in Gottes Seelenmund

Du bist in Dir von jeher Erde

Im Schoß der Welt ruht Ewigkeit

Du lebst in Dir das alte „Stirb und Werde“

Dein Schoß ist fruchtbar und wird weit

Liebe will Liebe

Schönheitsstab und Sommersohn

Liebe will Liebe

Samen, Herzanis und Mädchenmohn

Herrschen heißt der Liebe dienen

Es gibt kein Weil und kein Wozu

Dienen heißt dem Leben zu geziemen

Es lebt im Wir das Ich und Du

Liebe will Liebe

Ohne Mein und ohne Dein

Liebe will Liebe

Nur was wirklich ist, soll sein

Unsere Freiheit wird bestehen

Wenn wir aus uns wir selber sind

Die Quelle unserer Liebe will uns sehen

Weil mit uns die Welt beginnt

(Aus dem Gedichtzyklus „Ja, Du“ von Hans Christian Meiser)

Was an Dir getan ist, sage

Kraft des un-bedingten Ja

Was an Dir geschehen wird, wage

Höre auf die Tiefe. Sie ist da

Im Bejahtsein werden wir uns stets verlieren

Weil es sich selbst an uns erfüllt

Lass dies Geschenk in Dir niemals erfrieren

Auch wenn ein Nein das Ja umhüllt

Was wir waren, lässt die Liebe in uns sterben

Sie nimmt und gibt zugleich

Sie will, dass wir durch sie befähigt werden

Arm zu sein und unermesslich reich

In ihr entdecken wir die Ja-Allmacht

Ins Leben sterben wir hinein

Sie führt uns auf die Spur der Tagesnacht

Wir finden sie. Und kehren heim

Der, dem die Wirklichkeit begegnet

Wird selbst ursprünglich, ohne Scheu

Der, der uns in Liebeswahrheit segnet

Ist selber Ursprung, ewig neu

Er lässt sich ganz in uns geschehen

Kraft des un-bedingten Ja

Ohne Augen können wir ihn sehen

Er ist die Tiefe. Er ist da

(Aus dem Gedichtzyklus „Ja, Du“ von Hans Christian Meiser)

Ich bin in Dich verwandelt

Vergess mich immer neu in Dir

Es ist ein Wort, das aus sich handelt

Es führt zu uns: Aus dort wird hier

Dies Wort gebiert die Melodie des Seins

Es sieht am tiefsten mit den Augen des Vertrauens

Durch seine Saat sind wir in Licht und Schatten eins

Und wohnen in der Kunst des In-sich-Schauens

Wir singen uns das Lied von innen

Ins Sein hineingeöffnet und vollbracht

Wir wollen nicht verlieren, nicht gewinnen

Wir kennen nur die Freiheit, nicht die Macht

Wir wandeln uns zum Ursprung und sind deshalb jung

Wir wachsen nicht im Mittelmond

Wir brechen unser Brot in der Vereinigung

In der die körperliche Seele thront

Wir schöpfen aus der Tiefe, aus der wir letztlich sind

Und leben nicht im Binnenraum von „Ich bin ich“

Die Schönheit und die Liebe sind unsrer Freiheit Kind

Denn ich bin Du. Und Du meinst mich.

Wir sind in uns verwandelt

Vergessen uns stets neu im Sein

Es ist ein Wort, das aus sich handelt

Es führt zu uns: Wir sind daheim

(Aus dem Gedichtzyklus „Ja, Du“ von Hans Christian Meiser)

Ich sehe Dich von innen her

Du hast mich ganz berührt

Wir strömen in das Urbildmeer

Ich hab mich tief in Dir gespürt

Wir sind Liebe

Freiheitsfrühling und Verzicht

Wir sind Liebe

Herzgeburt und Sterngesicht

Wir haben uns so viel zu geben

Auf dem Wege zur Vollkommenheit

Wir können diese Nacht bewegen

Mit der Kraft der Zärtlichkeit

Wir sind Liebe

Trauerquell und Freudenleid

Wir sind Liebe

Und der Ewigkeit geweiht

Wir schauen uns in nie gekanntem Maße

Getauter Tränen Heiterkeit

Wir sind Reinheit und Ekstase

Federleicht verflossen in die Zeit

Wir sind Liebe

Unerschöpflich schön und zart

Wir sind Liebe

Ursprung in der Gegenwart

(Aus dem Gedichtzyklus „Ja, Du“ von Hans Christian Meiser)

Ich trete Dir entgegen

Und geb mich weg zu Dir

Und lebe um des Gebens wegen

Und finde mich in Dir

Auch wenn Du fort bist

Bleibst Du verwandelt hier

Du weißt, dass dies der Ort ist

An dem die Wahrheit wächst: Im Wir

Aus ihm heraus entspringt der Samen

Der Schöpfungsmorgen, Gottgeburt im Ja

Aus Sehnsucht rief es unsren Namen

Wir hörten ihn. Jetzt sind wir da

Die Liebe rief uns aus dem Nichts

Wir lebten ortlos im Wenn-Dann

Bis auf ein Zeichen des Gesichts

Die Freiheit uns für sich gewann

Sie hat uns berührt

Wir sind am Ende alter Zeit

Sie hat uns mit sich fortgeführt

Nun sind wir die Ewigkeit

Und treten uns entgegen

Es gibt jetzt kein Zurück

Und leben um des Gebens wegen

Und gehen hin und bringen Glück

(Aus dem Gedichtzyklus „Ja, Du“ von Hans Christian Meiser)

Ich lasse Dich geschehen

In mir, in meinem Ja

Ich kann nur diesen Weg begehen

Und bin in Dir dem Ursprung nah

Ich bin zu Dir bereit

Es gibt nicht mehr um-zu

Du tust in mir die Wirklichkeit

Wirst selbst in Freiheit: Du

Du bist das Ja der Ewigkeit

In Deinem Atem lebt das Wort

Es hat Dich von Dir selbst befreit

Und nimmt den Zweifel von Dir fort

Du schaffst den Raum der Freiheit um Dich her

Nicht neben mir und ohne Nein

Du wirkst mit mir zusammen, wir sind leer

Für das unendliche Gesetz vom Sein

Die Liebe spricht zu Dir: Mein Leben, tanze

Sie bietet Dir das Wort als Handlung an

In jedem Teil lebt fruchtbar noch das Ganze

Das Wort als Weg ist immer schon getan

Wenn wir erst werden, wer wir wirklich sind

Dann sind wir frei und leben als Begegnung

Wir sehen uns als jener Freiheit schönstes Kind

Das Leben heißt in endloser Bewegung

Sie lässt uns geschehen

In ihr, in ihrem Ja

Wir können diesen Weg begehen

Und sind in uns dem Ursprung nah

(Aus dem Gedichtzyklus „Ja, Du“ von Hans Christian Meiser)

Ich bin nicht, was ich habe

Und hab Dich nicht und bin

Und bin ich für Dich die Gabe

Bist Du, da ich bin

Du bist die Gabe, nicht der Geber

Durch Dich erhält das Lied den Klang

Durch Dein Geschenk erblicke ich den Weber

Des Fadens, der uns zusammen spann

Wenn ich dich in Deiner Freiheit sehe

Nehme ich die Chance wahr

Eins zu sein mit Dir in einer Nähe

Die Ferne ist und jeder Lüge bar

Unterwegs zu sein im Flusse des Vergessens

Heißt lieben um der Freiheit willen

Und keine Macht des Wägens und des Messens

Vermag den Durst nach der Unendlichkeit zu stillen

Die Welt verschenkt sich liebend an ihr Kind

Und verzichtet auf ein Bild von Dir

Ich liebe das Geheimnis Deiner Freiheit wie den Wind

Und singe Deine Melodie in mir

Ich bin nicht, was ich habe

Und hab Dich nicht und bin

Und bin ich für Dich die Gabe

Bist Du, da ich bin

(Aus dem Gedichtzyklus „Ja, Du“ von Hans Christian Meiser)

GEISSEL ODER GLÜCK? Jeden Morgen alleine aufwachen. Jede Nacht einsam einschlafen. Nur das Kissen umarmen. Den Tag müssen wir in Isolation verbringen. Nicht einmal die Abwechslung eines Restaurantbesuchs, eines Kinoabends oder einer Theatervorstellung. Wir sind „gefangen“ in uns selbst, mit uns selbst. Das ist ein Gefühl von Absurdität und führt manche sensible Seele an den Rand des Abgrunds. Gerade jetzt, wo ganz Deutschland durch Corona gegeißelt und in die Isolation gezwungen ist. In der Bibel heißt es: „Und Gott der HERR sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei.“ 1. Mose 2,18

BLOSS NICHT ÜBER UNS SELBST NACHDENKEN! Wir sind Abwechslung gewöhnt. Soziale Kontakte tun uns gut. Sie sind wie Sauerstoff, der unsere Seele zum Atmen bringt. Unsere Herzen lächeln lässt. Letztlich auch, weil sie von uns selbst und unseren Problemen und Unzulänglichkeiten ablenken. Weil das Zusammensein mit Gleichgesinnten uns die Gewissheit gibt, gemocht zu werden. Weil wir so sind, wie wir sind. Sogar obwohl wir sind, wie wir sind. Das gibt uns Boden unter den Füßen, hüllt uns in eine warme Wolke der Zufriedenheit. Jetzt ist sie verschwunden, die tröstliche Nähe zu unserer Gesellschaft. Die kleinen hedonistischen Freuden eines gemeinsam genossenen Eisbechers in der Frühlingssonne. Ein Glas Wein auf die Freundschaft. Alles das ist nicht mehr möglich. Wir sind gezwungen, zu uns selbst zu kommen, Stille zuzulassen. Was macht das mit uns? Zunächst einmal ist da eine Leere, von der kein Nebengeräusch mehr ablenkt – außer dem permanenten „Bling Bling“ unseres Smartphones, das besonders in der aktuellen Situation keine Ruhe gibt! Aber macht uns das weniger einsam? Wird so emsig gepostet, um die Einsamkeit zu vertreiben?

DER SEELENQUÄLER: EINZELHAFT SCHAFFT HIRN- UND HERZSCHMERZ. Einsamkeit kann schmerzhaft sein, uns krank machen. In eine schwere Depression münden. An der Einsamkeit können wir zugrunde gehen wie eine Rose, die kein Wasser mehr bekommt. Heute sind viel zu viele Menschen einsam. Verzweifelt. Ausgehungert nach Nähe. Doch das ist ja nicht erst seit Corona so. Rund 17 Millionen Singles gab es im Jahr 2020 in Deutschland. Und das sind bei Weitem nicht nur alte Menschen. 44 Prozent sind Männer unter 49. Ob Mann oder Frau, alt oder jung, es ist nicht leicht, mit der Einsamkeit umzugehen. Sie nagt an unserer Seele, füttert uns mit Selbstzweifeln. Wir fühlen uns nicht geliebt, kommen aus dem Gedankenkarussell und den permanenten Selbstgesprächen nicht heraus. Das Schlimmste: die Angst, alleine zu bleiben bis an unser Lebensende. Einsam und alleine durch das letzte dunkle Tor zu gehen. Unbegleitet. Ohne Spuren hinterlassen zu haben. Ganz so, als hätten wir niemals existiert. Die Angst vor der Einsamkeit: Sie ist existentiell! Warum aber fällt es uns so schwer, alleine zu sein? Brauchen wir sie so sehr, die Anerkennung durch die anderen? Die Ablenkungen von uns selbst? Können uns denn andere ersetzen, was in unserem Inneren fehlt? Wenn wir schon nicht mit uns selbst leben können, wie kann dann ein anderer mit uns glücklich sein?

WELCOME SOLITUDE – GENIESST DIE SINGLE-PARTY! Sind wir denn nicht eigentlich immer alleine? Werden alleine geboren und sterben alleine. Jeder Baum steht doch auch für sich alleine. Bestenfalls von anderen umgeben. Aber doch immer für sich. Alleine sein und einsam sein sind zwei verschiedene Zustände. Alleine sein, gerade das selbst erwählte Mit-sich-Sein, ist oftmals das Wohltuendste, was wir erfahren. Wir dürfen tun, was wir wollen, denken, was uns in den Kopf kommt, können uns „gehen lassen“ und brauchen uns um nichts und niemanden außer uns selbst zu kümmern. Können Party mit uns selbst feiern.

WENN DIE SINNKRISE EINZIEHT. Doch nach einer Weile kommt die Leere, die Langeweile, das Bedürfnis nach der Nähe anderer, des einen geliebten Partners, der Familie oder einfach nur guter Gesellschaft. Wird sie uns nicht gewährt, dann werden wir einsam. Mit jedem Tag, jeder Stunde, jeder Minute welken wir ein bisschen mehr dahin, bis uns der Sinn des Lebens verschwimmt; bis wir fragen, warum wir sind, wer wir sind. Existentielle Fragen. Für die wir ausgerechnet die Antwort durch andere benötigen? Sind das nicht genau die Fragen, die wir in und durch die Einsamkeit beantworten können und sollen, um zu uns selbst zu finden?

GEMEINSAM EINSAM … BIS ZUM SCHEIDUNGSRICHTER. Um einsam zu sein, muss man nicht alleine sein! Ist es nicht noch schlimmer, zu zweit oder gar in großer Gesellschaft einsam zu sein? Während der Coronakrise ist in China die Anzahl der Scheidungen steil angestiegen. Da fehlte die Ablenkung von außen. Die Menschen mussten oft auf engstem Raum miteinander leben. Die vielfältigen Sorgen um das alltägliche Überleben, zu viel Nähe und zu wenig Alleinsein sind ebenso schwer zu ertragen wie die Einsamkeit. Wie die Unfähigkeit, Distanz zu überbrücken, schafft auch unsere mangelnde Fähigkeit zur Abgrenzung Konflikte. Letztlich manifestieren sich unsere Bewertungen in Gefühlen und werden schließlich zu Realität.

DER JAKOBSWEG ZU SICH SELBST. Zu uns zu finden, Zeit für uns selbst zu haben, ist ein idealer Ansatzpunkt auf dem Weg zu einem glücklichen Lebensgefühl. Mit dem wir dann auch für andere Zeitgenossen wieder ein Geschenk sind: Wir werden zu jemandem, mit dem man gerne Zeit verbringt. Nutzen wir also die Zeit des Alleinseins. Ob selbst gewählt oder vom Schicksal verordnet – finden wir zu uns und zum Kern der Wahrheit und des Glücks, das in allen von uns keimt! Zelebrieren wir die Zeit mit uns alleine. So wie wir sie auch in Gesellschaft genießen. In allem steckt der Sinn, den WIR ihm geben … Haben wir also keine Angst, den „Jakobsweg“ zu uns selbst und nur mit uns selbst zu gehen. Wenn wir die Zeit richtig nutzen, kommen wir mit den richtigen Gedanken und Gefühlen zu unserem Glück. Dann kommen das Leben und die Gesellschaft wie von selbst zu uns zurück!

Eine spannende Ergänzung erhielt ich von Dr. Hans Christian Meiser

Soweit also Nicole Roesler. Es gibt aber auch noch einen ganz anderen Weg, mit der Einsamkeit umzugehen. Dieses Phänomen trägt den Namen „Honjok“. Der Begriff stammt aus dem Koreanischen und bedeutet so viel wie „Einpersonenstamm“. Was ist damit gemeint und wieso ist er plötzlich in aller Munde? Wir kennen dieses Phänomen eher unter der Bezeichnung „Single“, wobei jene Menschen gemeint sind, die bewusst auf die tradierte Familienform verzichten, also auf das Zusammenleben mit dem Partner, auf Heirat, und meist auch auf Kinder. Sie lieben ihre Freiheit und üben sich in Selbstoptimierung, verzichten auf Verantwortung anderen gegenüber und führen ein Leben, bei dem sie sich bewusst die Seiten aussuchen, die sie für schön und erstrebenswert halten. Die Gründung einer eigenen Familie zählt nicht dazu.

DIE LIEBE UND DAS INTERNET. Nun findet sich das Phänomen vor allem in den Metropolen dieser Welt, die durch ihr vielfältiges Angebot, was Leben und Liebe betrifft, für immer mehr für junge Menschen anziehend werden. Sexualpartner braucht man heute nicht mehr per Zufall treffen, sondern man nutzt dafür die einschlägigen Internetforen. Alles andere, was man braucht, bekommt man im World Wide Web ebenfalls. Wer vor Corona über diese Entwicklung nachgedacht hat, dem musste aufgefallen sein, dass Restaurants und Cafés meist von Freunden besucht wurden, nicht aber von Paaren. In den großen Städten Südkoreas ist man da noch einen Schritt weiter. Es gibt spezielle Restaurants für Honjokker, für bewusst allein Lebende, Speisende, Genießende.

AUF DEM WEG ZU EINER NEUEN EMANZIPATION. Nun mag man fragen, was sie eigentlich genießen? Die Antwort ist klar: sich selbst. Sind sie nun deshalb komplett dem Egoismus verfallen? Sicherlich nicht. Sie – und vor allem Frauen – wehren sich dagegen, den traditionellen Vorgaben „Heirat – Kinder – Hausfrau“ zu entsprechen – so wie es die Emanzipationsbewegung in Europa und den USA schon vor langem begonnen hat.

ZIEL: AUTHENTIZITÄT. Sind Honjokker einsam oder allein? Das hängt mit der Einstellung zusammen, denn eine gewollte Einsamkeit ist für sie wünschenswerter als eine erzwungene Partnerschaft. Honjokker, so beschreibt es das Buch „Honjok – Die Kunst, allein zu leben“ lernen sich durch ihren Verzicht auf Zweisamkeit besser kennen, sie sind oft bewusster, reflektierter, kreativer – zumal sie sich nicht mit Fragen nach den Noten der Kinder und wer den Abfall rausbringt, kümmern müssen. Bei Künstlern findet man diese Lebensform natürlich auch; selbstverständlich möchte man fast sagen, denn wer seine Energie in die Kunst steckt, hat kaum Zeit für alles Bürgerliche. Honjokker leben im Einklang mit sich selbst, überschreiten die Grenzen und leben ihre Authentizität.

DAS ENDE DER GEMEINSAMKEIT? Das alles klingt sehr verlockend, zumal man sich dann nicht mehr mit dem Partner arrangieren muss und keinerlei Beziehungsstress ausgesetzt ist. Wird diese Lebensform in den nächsten Jahrzehnten unser Dasein bestimmen? Wird es dann kein „Gemeinsam. Glückwärts“ mehr geben? Ich denke, das hängt nicht nur von uns selbst ab, sondern auch von Äußerem, z. B. von dem, was uns hinsichtlich des Klimawandels erwartet. Die Coronakrise zeigt zweierlei: Einmal, dass sich z. B. Paare, die auf engem Raum mit Kindern zusammenleben, nach nichts mehr sehnen als nach Freiheit; auf der anderen Seite erleben wir einen schon verloren geglaubten Zusammenhalt von Menschen, die wieder einander helfen, sobald jemand in Not ist.

NICHT ENTWEDER – ODER, SONDERN SOWOHL – ALS AUCH. Ich denke, dass beide Lebens- und Liebesmodelle in Zukunft gleichberechtigt nebeneinander existieren werden. Es wird Paare geben, die in der Paarbeziehung ihre Erfüllung finden („Die Wahrheit beginnt zu zweit“) und es wird Honjokker geben, die durch ihre Individualität der Gesellschaft durchaus einen Seinszuwachs erwirken können, wenn ich das einmal philosophisch ausdrücken darf. Und es wird Menschen geben, die nicht ein „entweder – oder“ leben, sondern ein „sowohl – als auch“; das geht freilich nicht gleichzeitig, sondern ist vom jeweiligen Lebensabschnitt, von den jeweiligen Erfahrungen, von den jeweiligen Bedürfnissen abhängig. Und eben davon, ob wir weitere Katastrophen erleben werden oder nicht.

WIR SEHEN ALSO: Man kann an der Einsamkeit leiden, man kann aber auch Lust an ihr empfinden und sie zum Lifestyle erklären. In beiden Fällen gilt: Wenn man nicht das rechte Maß findet, kann es ungesund werden. Dann ist Einsamkeit nicht mehr heilsam, sondern macht krank. Es kommt also darauf an, einen Mittelweg zu finden oder besser: den Weg der Mitte zu gehen. Von jedem ein bisschen was ist besser als von jedem zu wenig oder zu viel.