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„Was ich habe, ist Charakter in meinem Gesicht. Es hat mich eine Masse langer Nächte und Drinks gekostet, das hinzukriegen“ – das wusste schon Humphrey Bogart, und ich kann dem nur zustimmen. Aber was, wenn du einem dir unbekannten Menschen derart ähnlich siehst, dass dessen Bekannte dich tatsächlich für „Ihn“ halten? Mir ist das mit Anfang zwanzig zum ersten Mal passiert. Es fing damit an, dass die Türsteher meiner damaligen Stammdisco damit begannen, mich kostenlos reinzulassen. Plötzlich war da dieser wissende Blick, ein kurzes Nicken und schon war ich drin! Und dies, nachdem ich zuvor jahrelang brav meinen Eintritt bezahlt hatte. Hatte es damit zu tun, dass nun alle Welt erkannt hatte, dass ich wirklich cool war und endlich in der „Szene“ angekommen? Ironie aus: Ich gestehe, dass ich mir damals gar keine großen Gedanken gemacht, sondern dieses Procedere einfach nur als angenehm hingenommen habe.

Wilder Sex und großzügiger Drogenkonsum

Das änderte sich allerdings nur kurze Zeit später. Da gab es eine schöne junge Frau, die mir ausnehmend gut gefiel. Und weil ich in solchen Fällen durchaus zu Schüchternheit neige, war alles, was ich tat, sie stets anzulächeln, wenn sich unsere Blicke begegneten. Der Hammer war – sie lächelte zurück! Und so kamen wir eines Nachts zu fortgeschrittener Stunde ins Gespräch; am Rande der Tanzfläche, beide schon ziemlich angeschickert, sie schrie mir einiges ins Ohr, was ich nicht recht einordnen konnte. Ich schob das auf die brüllende Lautstärke und gedanklich weit von mir. Dann ging alles ziemlich schnell: Wir nahmen ein Taxi, fuhren zu mir und es folgte eine Nacht voll von unbändiger Leidenschaft, wildem Sex und großzügigem Drogenkonsum.
Am nächsten Morgen war sie weg, kein Zettel, keine Telefonnummer, nichts. Ich wollte natürlich mehr davon, aber was tun? Das einzige, was blieb, war natürlich jene Orte aufzusuchen, an denen wir uns immer wieder über den Weg gelaufen waren, und eine Woche später war es soweit: Da stand sie nun, lächelte mich schief an und offenbarte mir bei einem Bier, dass sie mich an jenem Abend verwechselt hatte. Sie hatte mich für einen angesagten Szenemusiker aus dem nahe gelegenen Schweinfurt gehalten. Nun dämmerte mir auch, wie ich zu dem plötzlichen freien Eintritt gekommen war und ja – das tat meinem Ego gar nicht gut. Übrigens bin ich mit dieser Frau auch heute noch befreundet, erst in jüngster Zeit habe ich sie in Berlin besucht und wir haben über die damaligen Ereignisse nochmals herzhaft gelacht.

Der Mythos der eigenen Einzigartigkeit

Weniger zum Lachen war der gedankliche Nachgang. Denn die Erkenntnis, dass der Anblick eines vermeintlich bekannten Gesichts ausreichen kann, um massive sexuelle Handlungen auszulösen, vermag schon mächtig am Mythos der eigenen Einzigartigkeit zu nagen. So gingen die Jahre ins Land, und da ich in dieser Zeit eifrig – im Sinne Humphrey Bogarts – an meiner Physiognomie arbeitete, wäre ich niemals auf die Idee gekommen, dass mir so etwas noch mal passieren könnte. Bis der „Graf“ kam. Damit meine ich den „Graf“ der Band Unheilig, dessen Konterfei mit seinem Hit „Geboren, um zu leben“ urplötzlich überall zu sehen war: Im Netz, in der Zeitung im TV – es gab kein Entkommen und das Schlimme war, dass ich damals nicht nur dieselbe „Frisur“, sondern auch eine sehr ähnliche Barttracht hatte. Fast noch krasser: Der hatte eine ähnlich tiefe Stimme und tanzte sogar wie ich, wie ich auf YouTube entdecken musste. Kurzum: Ob beim Bäcker oder beim „Schlecker“ (den gab es damals noch) – überall wurde ich auf diese Ähnlichkeit angesprochen. Meine damalige Frau fand das lustig und setzte noch einen drauf: Sie erstand auf Ebay einen „Grafenanzug“ und buchte für uns Karten für Unheilig, die ein Charitykonzert in einem Würzburger Möbelhaus gaben. Um es kurz zu machen: Der Graf entdeckte mich im Publikum und es gab jenen kurzen Moment, in dem wir uns in die Augen sahen und beide wussten: Einzigartig sind wir nicht auf dieser Welt, zumindest nicht optisch. Nach nur vier Liedern entschwand der „Graf“ zum Ausgang – zu einer weiteren Veranstaltung. Danach gab es es noch Häppchen vom Sternekoch und die Fans sorgten dafür, dass ich davon nichts abbekam: Hier ein Selfie und da ein Autogramm – meine Proteste, ich sei nicht „Er“, wurden fröhlich ignoriert. An diesem Abend lernte ich noch etwas: Ich will bitte nie ein Promi werden!

Übrigens haben wohl die Deutschen das Wort „Doppelgänger“ erfunden. Denn es wird in vielen anderen Sprachen verwendet, etwa im Englischen, Französischen, Italienischen, Portugiesischen und Spanischen, aber auch im Thai, Chinesischen und Russischen.