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Von Ariane Nickel

Wer es erlebt hat oder gerade erlebt, weiß: Co-Abhängigkeit, emotionale Abhängigkeit von einem Menschen oder eine solche Beziehung, ist ein Leben im Käfig der Täuschung, der Selbstverleugnung bis hin zum Selbstverlust.

Wer in eine Co-Abhängigkeit geraten ist oder tief drinsteckt, gibt einer anderen Person Macht. Alles, was sie oder er tut oder nicht tut, alles was er/sie sagt oder nicht sagt, bestimmt alles und beeinflusst die eigenen Gefühle, Gedanken und das Handeln.

Du verlierst zunehmend Selbstachtung, Selbstwertgefühl und Selbstbestimmung wie gefangen in einem Käfig der Fremdbestimmung, und alles dreht sich nur noch um den anderen.

Du verleugnest deine Bedürfnisse, wirst klein und kleiner, schwach und schwächer, kraftlos, immer öfter krank … fühlst dich immer hilfloser und ohnmächtiger.

Die Beziehung zu lösen scheint unmöglich – klammerst dich an das wenige Schöne, wirst Weltmeister im Bagatellisieren oder Beschönigen.

Wie kommt man da raus?

Der erste Schritt ist: Bewusstwerdung.

Erst wenn wir uns zutiefst klar darüber sind und anerkennen, dass wir die Macht über uns selbst abgeben, haben wir die Chance, sie uns zurückzuholen.

Bewusst erkennen, was das mit dir macht. Und zu welchem Menschen dich das macht.

In der Co-Abhängigkeit lebt man in einem vermeintlichen Käfig, angemessene Emotionsregulation funktioniert nicht mehr oder nur begrenzt. Überforderung, Angst, ständige innere Unruhe, Wut, Verzweiflung, sinnlose Erwartungen, vergebliches Bemühen, vergebliche Hoffnung und ständige Enttäuschungen.

Positive Gefühle werden kaum mehr gespürt, heimlich, immer seltener.

Das Gehirn ist ständig im Stressmodus ebenso wie der Körper. Stress verhindert Klarheit. Dadurch verengt sich der Fokus und man sieht so keine Lösung.

Manche Co-Abhängige glauben sogar, ohne den anderen nicht mehr leben zu können, oder sie hätten die Verantwortung für den anderen und dieser würde ohne sie untergehen.

Das schafft Schuldgefühle, die immer mehr blockieren und eine gesunde Selbstfürsorge boykottieren.

Die Verzweiflung wächst. Ausweglosigkeit macht sich breit. Man verliert den letzten Rest des Selbstwertgefühls und bleibt wie gefangen in einer Situation, die längst gewohnt ist.

„Aber ich schaffe es nicht zu gehen“, kommt dann. Abhängig von der Sucht, gebraucht zu werden?

Nein, das ist keine Liebe, weil Liebe nicht weh tut, weil Liebe nicht eng macht, sondern weit, weil Liebe uns beflügelt und nicht unsicher, weil Liebe Kraft gibt und sie nicht raubt. Weil Liebe ein gegenseitiges einander Guttun ist.

Das, was ist, ist keine Liebe – das ist Abhängigkeit.

Warum bleiben viele Co-Abhängige trotzdem?

Aus Mangel an Eigenliebe, begrenzenden Glaubenssätzen, Erniedrigung und fehlendem Selbstwertgefühl werden mit der Zeit Selbstaufgabe, Selbstzweifel und ein gestörtes Selbstbild.

Mehr Angst zu gehen als zu bleiben, gehst du allmählich zugrunde.

Wer das alleine nicht schafft, dem hilft Learning. Lerne mehr darüber, wie du dich befreien und erlösen kannst von toxischen Verstrickungen und wie du wieder in deine Kraft kommst.

Dass Mutterliebe bzw. die Liebe und Zuwendung einer Bezugsperson eine Säule unserer Liebesfähigkeit darstellt, ist also klar. Aber es gibt eine weitere, an die wir meist nicht denken, weil sie so selbstverständlich ist wie unser Herzschlag.

Liebe auf dem Mutterplaneten

Wir werden also geboren. Neun Monate wurden unsere Sinne optimiert und unser Gehirn ist voller Erwartung auf die Fülle des Neuen, das ihm nach dem „Planeten Mutter“ seit Jahrtausenden auf dem „Planeten Erde“ geboten wird. Und da sind sie: die zärtlichen Stimmen meiner Mutter, meines Vaters, meiner Großmutter, meines Großvaters, meiner Verwandten, meines Stammes. Sie alle nehmen mich in den Arm, liebkosen mich, geben wir die erste Sicherheit, gut und richtig angekommen zu sein, nicht den Planeten verfehlt zu haben. Weiterlesen

„Was ich habe, ist Charakter in meinem Gesicht. Es hat mich eine Masse langer Nächte und Drinks gekostet, das hinzukriegen“ – das wusste schon Humphrey Bogart, und ich kann dem nur zustimmen. Aber was, wenn du einem dir unbekannten Menschen derart ähnlich siehst, dass dessen Bekannte dich tatsächlich für „Ihn“ halten? Mir ist das mit Anfang zwanzig zum ersten Mal passiert. Es fing damit an, dass die Türsteher meiner damaligen Stammdisco damit begannen, mich kostenlos reinzulassen. Plötzlich war da dieser wissende Blick, ein kurzes Nicken und schon war ich drin! Und dies, nachdem ich zuvor jahrelang brav meinen Eintritt bezahlt hatte. Hatte es damit zu tun, dass nun alle Welt erkannt hatte, dass ich wirklich cool war und endlich in der „Szene“ angekommen? Ironie aus: Ich gestehe, dass ich mir damals gar keine großen Gedanken gemacht, sondern dieses Procedere einfach nur als angenehm hingenommen habe.

Wilder Sex und großzügiger Drogenkonsum

Das änderte sich allerdings nur kurze Zeit später. Da gab es eine schöne junge Frau, die mir ausnehmend gut gefiel. Und weil ich in solchen Fällen durchaus zu Schüchternheit neige, war alles, was ich tat, sie stets anzulächeln, wenn sich unsere Blicke begegneten. Der Hammer war – sie lächelte zurück! Und so kamen wir eines Nachts zu fortgeschrittener Stunde ins Gespräch; am Rande der Tanzfläche, beide schon ziemlich angeschickert, sie schrie mir einiges ins Ohr, was ich nicht recht einordnen konnte. Ich schob das auf die brüllende Lautstärke und gedanklich weit von mir. Dann ging alles ziemlich schnell: Wir nahmen ein Taxi, fuhren zu mir und es folgte eine Nacht voll von unbändiger Leidenschaft, wildem Sex und großzügigem Drogenkonsum.
Am nächsten Morgen war sie weg, kein Zettel, keine Telefonnummer, nichts. Ich wollte natürlich mehr davon, aber was tun? Das einzige, was blieb, war natürlich jene Orte aufzusuchen, an denen wir uns immer wieder über den Weg gelaufen waren, und eine Woche später war es soweit: Da stand sie nun, lächelte mich schief an und offenbarte mir bei einem Bier, dass sie mich an jenem Abend verwechselt hatte. Sie hatte mich für einen angesagten Szenemusiker aus dem nahe gelegenen Schweinfurt gehalten. Nun dämmerte mir auch, wie ich zu dem plötzlichen freien Eintritt gekommen war und ja – das tat meinem Ego gar nicht gut. Übrigens bin ich mit dieser Frau auch heute noch befreundet, erst in jüngster Zeit habe ich sie in Berlin besucht und wir haben über die damaligen Ereignisse nochmals herzhaft gelacht.

Der Mythos der eigenen Einzigartigkeit

Weniger zum Lachen war der gedankliche Nachgang. Denn die Erkenntnis, dass der Anblick eines vermeintlich bekannten Gesichts ausreichen kann, um massive sexuelle Handlungen auszulösen, vermag schon mächtig am Mythos der eigenen Einzigartigkeit zu nagen. So gingen die Jahre ins Land, und da ich in dieser Zeit eifrig – im Sinne Humphrey Bogarts – an meiner Physiognomie arbeitete, wäre ich niemals auf die Idee gekommen, dass mir so etwas noch mal passieren könnte. Bis der „Graf“ kam. Damit meine ich den „Graf“ der Band Unheilig, dessen Konterfei mit seinem Hit „Geboren, um zu leben“ urplötzlich überall zu sehen war: Im Netz, in der Zeitung im TV – es gab kein Entkommen und das Schlimme war, dass ich damals nicht nur dieselbe „Frisur“, sondern auch eine sehr ähnliche Barttracht hatte. Fast noch krasser: Der hatte eine ähnlich tiefe Stimme und tanzte sogar wie ich, wie ich auf YouTube entdecken musste. Kurzum: Ob beim Bäcker oder beim „Schlecker“ (den gab es damals noch) – überall wurde ich auf diese Ähnlichkeit angesprochen. Meine damalige Frau fand das lustig und setzte noch einen drauf: Sie erstand auf Ebay einen „Grafenanzug“ und buchte für uns Karten für Unheilig, die ein Charitykonzert in einem Würzburger Möbelhaus gaben. Um es kurz zu machen: Der Graf entdeckte mich im Publikum und es gab jenen kurzen Moment, in dem wir uns in die Augen sahen und beide wussten: Einzigartig sind wir nicht auf dieser Welt, zumindest nicht optisch. Nach nur vier Liedern entschwand der „Graf“ zum Ausgang – zu einer weiteren Veranstaltung. Danach gab es es noch Häppchen vom Sternekoch und die Fans sorgten dafür, dass ich davon nichts abbekam: Hier ein Selfie und da ein Autogramm – meine Proteste, ich sei nicht „Er“, wurden fröhlich ignoriert. An diesem Abend lernte ich noch etwas: Ich will bitte nie ein Promi werden!

Übrigens haben wohl die Deutschen das Wort „Doppelgänger“ erfunden. Denn es wird in vielen anderen Sprachen verwendet, etwa im Englischen, Französischen, Italienischen, Portugiesischen und Spanischen, aber auch im Thai, Chinesischen und Russischen.

Keine und keiner von uns würde sich einen Lügner nennen. Und natürlich stimmt das auch. Wir halten so gut wie alles, was wir sagen, denken und fühlen, für wahr. Aber da täuschen wir uns ganz gehörig. Nicht die Lüge, sondern unser Glaube an die Wahrheit ist das Problem.

Die Psychologie weiß, dass ein Gros unserer Denkakte vor allem einem dient: unser Selbstbild aufrecht zu erhalten. Wenn der Herr Direktor seiner Putzfrau großzügig einen Zwanziger extra zusteckt und murmelt: „Sie machen Ihre Arbeit wirklich großartig“, dann wollen wir nicht gleich denken, er könnte sie das nächste Mal fragen, ob sie nicht erst bei ihm nach Büroschluss putzen möchte. Nein, nein, solche Direktoren sind die Ausnahme. Viel wahrscheinlicher ist der Direktor tatsächlich hoch erfreut über sein blitzsauberes Büro. Und weil er sich für einen großzügigen Menschen hält, zückt er eben den Zwanziger. Aber nun stellt sich eine Frage: Würde er das auch bei seinem Geschäftsführer tun? Natürlich nicht. Da müsste es wenigstens ein Zweihunderter sein. Mit dem Zwanni festigt der Herr Direktor also auch sein Gefühl: Ich bin ein Direktor und das ist meine Putzfrau.

Ein kompliziertes Terrain, auf dem man sich leicht verheddern kann. Täuschen ist ganz normal, sich täuschen und den anderen täuschen, ganz ohne Absicht. An dieser Stelle frage ich mich: Was tue ich, um gegenüber meiner Partnerin mein Selbstbild aufrecht zu erhalten? Schenke ich ihr zum Beispiel ab und zu Blumen, weil ich mich als romantischen Lover sehe? Setze ich mich regelmäßig (und ganz selbstverständlich) hinters Steuer, weil ich – sicherlich als Mann der bessere Autofahrer bin? Täusche ich einen Orgasmus vor, wenn meine Erektion nicht mehr mitmacht?

Ja, solche Überlegungen können heikel werden. Aber sie lohnen sich erst dann wirklich, wenn ich mal drüber nachgedacht habe, was ich für ein Bild von mir selbst habe. Und wenn ich dann schon grade dabei bin, könnte ich noch dazudenken, mit welchen meiner Reaktionen auf „sie“ zementiere ich „ihr Selbstbild“? Spätestens dann höre ich natürlich auf zu denken und schalte auf Autopilot.