von Frank Schneider

Fußfetischismus? Das klang für mich lange Zeit etwas absonderlich, hat der weibliche Körper doch weit reizvollere Regionen zu bieten, so mein Credo. Bis zu diesem Tag im vergangenen Jahr: Mein Vater, zu diesem Zeitpunkt bereits gehbehindert, bat mich, bei einer Hausbewohnerin im Parterre ein Paket abzuholen, dass diese angenommen hatte.

Ich klingle also und eine blonde, stark tätowierte Endzwanzigerin in einem langen T-Shirt, aka Nachthemd, öffnet verschlafen blinzelnd die Tür. Und während ich brav mein Paket-Sprüchlein aufsage, brennt sich der Fokus meiner Augen an ihren nackten Füßen fest: Fraulich, ein wenig kindlich noch, eine Augenweide! Natürlich war dieser Augenblick nur von kurzer Dauer. Nach wenigen Sekunden hielt ich das Paket in Händen und die Tür zum schönsten Paar Füße, das ich je gesehen hatte, schloss sich unwiederbringlich vor mir. In den folgenden Wochen konnte ich mich der Wucht der Erotik dieses Moments nicht entziehen. Doch als ich endlich den Mut fasste, erneut dort zu klingeln, stellte sich heraus, dass die junge Dame umgezogen war.

Was blieb? Die Erkenntnis, dass auch in mir – jahrzehntelang unerkannt – wohl ein Fußfetischist schlummert. Meine Neugier war geweckt und so begann ich, mich etwas intensiver mit dem Thema zu beschäftigen und es kam doch einiges – durchaus Bemerkenswertes – ans Licht. Denn ich bin nicht allein! Wusstet ihr zum Beispiel, dass der US-amerikanische Regisseur und Produzent Quentin Tarantino offen zu seiner Vorliebe für Frauenfüße steht? Er hat sie auch manchmal in seinen Filmen verarbeitet – wie zum Beispiel in der legendären Szene von Pulp Fiction, als Uma Thurman barfuß (!) mit John Travolta einen Tanzwettbewerb bestreitet. Aber Tarantino und meine Wenigkeit sind nicht allein. So erlag im 19. Jahrhundert der bayerische König Ludwig I. den Reizen der berüchtigten Tänzerin Lola Montez. Und er engagierte zu ihren Ehren den Bildhauer Johannes Leeb, welchen er eine Skulptur ihrer Füße aus Marmor anfertigen ließ. D

Doch die Faszination für unsere unteren Gliedmaßen hat noch eine Vielzahl anderer Ausprägungen – hier eine kleine Übersicht: So unterscheidet man bei den sexuellen Praktiken zwischen der Reizung mit dem ganzen Fuß und der, die nur mit den Zehen erfolgt. Für diejenigen, die gleichzeitig Anhänger des BDSM sind, ist es erotisch, gefesselte Füße zu betrachten, zu kitzeln oder zu „misshandeln“, etwa durch eine Bastonade. Und manche Menschen mögen es, wenn eine Person über ihren Körper läuft oder sich einfach daraufstellt. So jemanden habe ich übrigens mal kennengelernt – ein netter Kerl und sehr bodenständig J.

„Geben Sie bitte Ihre erotischen Vorlieben ein!“ Diese Aufforderung eines Erotikportals würde so manche oder mancher mit „soft bondage“ beantworten, vielleicht auch „hard bondage“. Bondage heißt Fesselung und spricht für die Sehnsucht nach Unterwerfung – wenigstens ein bisschen. Passt das zum Thema „Freiheit in der Liebe“? Natürlich, auf kokette Art gewissermaßen, denn in die Unterwerfung begibt man sich freiwillig.

Wirklich freiwillig? Oder ist da nicht ein unkontrollierbarer, und damit unfreier, Anteil in unserem Lustpotpourri identifizierbar? Selbstverständlich. Was uns Lust macht, was uns antörnt, was uns geil macht, unterliegt nur sehr eingeschränkt unseren Wünschen. Andernfalls könnten wir ja beliebig auch ins homo-, bi- oder heterosexuelle Fach überwechseln. Können wir aber nicht. Eben.

Wechseln wir also vorsichtshalber in die geistigen Sphären über. Liebe zu einem Menschen ist ja auch, wenn nicht vor allem, ein geistig-seelisches Erlebnis. Auch das können wir uns nicht aussuchen. Im Extremfall überfällt es uns wie ein Blitz, wie eine plötzliche Erkenntnis: ER ist es oder SIE ist es! Der eine, die eine. Mit erschreckender Gewissheit fühlen wir uns ihm oder ihr ausgeliefert wie ein Garten dem Wetter: Scheint eine Sonne namens Josef oder Maria aus blauem Himmel in unser Herz, ist alles gut und wir sind glücklich. Wirft der Himmel aber mit Hagelkörnern, sind wir angeknackst bis zerschmettert. Alles das ahnen wir in diesem einen Augenblick seliger Lust. Wir sind zu allem bereit, wollen uns ausliefern.

Warum? Treibt uns Masochismus an? Doch eher nein. Im anderen spüren und erahnen wir die Chance, die eigene Persönlichkeit zu erweitern, ihrem Gefäß der eingeschränkten Möglichkeiten zu entkommen, im Verschmelzen der Seelen ein Stück vollständiger zu werden. Mit anderen Worten: den Raum unserer Freiheit zu erweitern, aus eins plus eins eine wundersame Drei zu machen. Das geht ja auch ein paar Monate gut – bis der Partner oder die Partnerin am Telefon mit einem subterranen Beben in der Stimme fragt: „Warum hast du gestern Abend nicht angerufen?“

Auf einmal öffnet sich ein Höllenschlund. Ganz ähnlich wie im Augenblick, in dem uns unsere Verliebtheit bewusstwurde, dämmert uns die Ahnung, dass es nun mit der Freiheit vorbei ist. Was sich einst wie die freie, wundersame Natur anfühlte, ist nun ein bestenfalls ein englischer Park, wo Gärtner namens Erfahrung, Erinnerung, Hoffnung, Besitz, Eifersucht, Zweifel und Vorwurf zugange sind. Das Paradies ist eingehegt, vielleicht von Stacheldraht umgeben. Zutritt verboten! Achtung, Selbstschussanlagen. Jede Überschreitung, hinein oder hinaus, zieht Verletzungen nach sich, schlägt Wunden.

Gibt es Alternativen dazu? Und falls ja, welche? Polyamorie? Lässt sich die erlernen?

[Foto: pixabay_johnhain]