Also was spontanen, ungeschützten Sex angeht, so gehöre ich zu der Generation, die da so richtig die Arschkarte gezogen hatte. Ich spreche natürlich von Aids, das vom „Center for Disease Control (CDC)“ am 1. Dezember 1981 als eigenständige Krankheit erkannt wurde. Fuck! Da war ich 15 und durchaus willens, aber noch nicht in der sozialen Position, zu einem reichhaltig-abwechslungsreichen Sexualleben. Um ganz offen zu sein: Zu mehr als Zungenküssen und ein bisserl Petting reichte es damals nicht. Bis sich das dann so nach und nach änderte, änderte sich auch einiges in Sachen Aids: Erste Prominente starben daran, die Presse beschrieb immer schriller, wie sehr die Seuche nun auch ins Mainstreammilieu der Heterosexuellen hineingeschwappt sei und dergleichen mehr.
Aids: Was macht das mit dir?
Mitte der achtziger Jahre war es endlich so weit: Die Pickel der Pubertät waren verheilt, die schlimmsten Auswirkungen der ersten Verkopfung (Sie: Wollen wir mal wieder ausgehen? Ich: Wovon?) waren überstanden, das erste Auto stand bereit und da draußen lockte eine Welt voll von attraktiven Frauen, die es kennenzulernen galt. Und natürlich gerne mehr als kennenlernen, gerne Sex, gerne im Sechserpack, möglichst viel davon. Jaja, die Hormone halt und vor allem dieses überschäumende Testosteron. Blöd, wenn dann nächtens, wenn die Tore deines weiblichen Gegenübers weit offenzustehen scheinen, dein innerer Zensor auf den Plan tritt: „Hast du Kondome dabei?“, grollt er und „Nein, hast du nicht. Warum nicht?“ „Vielleicht, weil ich einfach nur tanzen gegangen bin und …“ wage ich zu antworten und werde eingeschüchtert: „Wenn du jetzt mit dieser Frau schläfst, dann kann das dein Todesurteil sein“, stellt der Zensor grimmig und mit einer gewissen Zufriedenheit fest. Und in der Realität gingen damals allzu oft Tore, die gerade noch offen schienen, ganz schnell wieder zu. Das ging uns nahezu allen so, ob Mann oder Frau.
Plastiktüte überm Kopf
Und natürlich war ich nicht der Einzige, der versuchte, das mit den Präsern zu beherzigen. Wie viele Sorten habe ich ausprobiert? Mehr als zehn, schätze ich und das Ergebnis war bei jeder Variante das Gleiche: Ziehe ich meinem besten Stück eine Gummi-Tüte über den Kopf, dann gruselt „Er“ sich. Warum? Keine Ahnung? Vielleicht „sieht“ Er nichts mehr oder die Hautatmung wird unterbrochen oder was weiß ich. Ich will hier nicht zu sehr ins Detail gehen, aber Fakt war und ist, dass Er das nicht abkann und in 90 Prozent der Versuche mit einer Erektionsstörung reagierte und in den restlichen zehn Prozent schlicht nicht kam. Verstehen kann ich das; wenn mir jemand vor dem Sex eine Plastiktüte über den Kopf zöge, wäre ich auch unlustig.
Shit happens
Also bin ich ins Risiko gegangen. Scheiß auf den Zensor, man lebt nur einmal, „live fast, die young“ und so. Bis dann mal eine Dame dabei war, von der ich erst später erfuhr, dass sie Heroin spritzt. Und da hatte mich der Zensor wieder an den Eiern. „Du musst dich testen lassen!“ plärrte er tagaus, tagein. Bei einem Kaffee mit einer Journalistenkollegin erzählte ich ihr von meinem Dilemma und oha! Anstatt mich für meine Unvorsichtigkeit zu maßregeln (was heute im Sinne der unsäglichen „political correctness“ wohl unvermeidlich gewesen wäre), offenbarte sie mir, dass es ihr ganz ähnlich ging. Auch eine Nacht mit einem dubiosen Mann, willkommen! In der Paranoia-Zelle ist es zu zweit doch gleich viel kuschliger. Was soll ich sagen? Wir sprachen häufiger darüber und irgendwann, beschlossen wir, zum Test zu gehen.
Positiv: Aids-Test negativ
Der „Test“ war damals noch verbindlich im Gesundheitsamt und ich weiß heute noch, wie strange das auf den Wartebänken vor dem Untersuchungszimmer war. Jeder beäugte jeden. Junkie? Stricher? Homo? Die Augen der Wartenden flitzten suchend hin und her. Sedativa für die Augen in Form von Smartphones gab es ja damals noch nicht.
Eine Woche später – ja, so lange dauerte das damals, bis man die Wahrheit erfuhr, waren meine Kollegin und ich dann wieder vor Ort. Erst sie, dann ich – beide HIV-negativ. Das fanden wir positiv. Boah, waren wir erleichtert! Wir kauften an der Tanke eine Flasche Sekt und gingen zu mir – ich wohnte nicht weit weg vom Gesundheitsamt. Gläser klirrten, später schwirrten – Pheromone durch die Luft. Wir schliefen miteinander, es konnte ja nichts Schlimmes passieren. Es blieb bei diesem einen Mal. Und wir sind heute noch gut befreundet.