Also was spontanen, ungeschützten Sex angeht, so gehöre ich zu der Generation, die da so richtig die Arschkarte gezogen hatte. Ich spreche natürlich von Aids, das vom „Center for Disease Control (CDC)“ am 1. Dezember 1981 als eigenständige Krankheit erkannt wurde. Fuck! Da war ich 15 und durchaus willens, aber noch nicht in der sozialen Position, zu einem reichhaltig-abwechslungsreichen Sexualleben. Um ganz offen zu sein: Zu mehr als Zungenküssen und ein bisserl Petting reichte es damals nicht. Bis sich das dann so nach und nach änderte, änderte sich auch einiges in Sachen Aids: Erste Prominente starben daran, die Presse beschrieb immer schriller, wie sehr die Seuche nun auch ins Mainstreammilieu der Heterosexuellen hineingeschwappt sei und dergleichen mehr.

Aids: Was macht das mit dir?

Mitte der achtziger Jahre war es endlich so weit: Die Pickel der Pubertät waren verheilt, die schlimmsten Auswirkungen der ersten Verkopfung (Sie: Wollen wir mal wieder ausgehen? Ich: Wovon?) waren überstanden, das erste Auto stand bereit und da draußen lockte eine Welt voll von attraktiven Frauen, die es kennenzulernen galt. Und natürlich gerne mehr als kennenlernen, gerne Sex, gerne im Sechserpack, möglichst viel davon. Jaja, die Hormone halt und vor allem dieses überschäumende Testosteron. Blöd, wenn dann nächtens, wenn die Tore deines weiblichen Gegenübers weit offenzustehen scheinen, dein innerer Zensor auf den Plan tritt: „Hast du Kondome dabei?“, grollt er und „Nein, hast du nicht. Warum nicht?“ „Vielleicht, weil ich einfach nur tanzen gegangen bin und …“ wage ich zu antworten und werde eingeschüchtert: „Wenn du jetzt mit dieser Frau schläfst, dann kann das dein Todesurteil sein“, stellt der Zensor grimmig und mit einer gewissen Zufriedenheit fest. Und in der Realität gingen damals allzu oft Tore, die gerade noch offen schienen, ganz schnell wieder zu. Das ging uns nahezu allen so, ob Mann oder Frau.

Plastiktüte überm Kopf

Und natürlich war ich nicht der Einzige, der versuchte, das mit den Präsern zu beherzigen. Wie viele Sorten habe ich ausprobiert? Mehr als zehn, schätze ich und das Ergebnis war bei jeder Variante das Gleiche: Ziehe ich meinem besten Stück eine Gummi-Tüte über den Kopf, dann gruselt „Er“ sich. Warum? Keine Ahnung? Vielleicht „sieht“ Er nichts mehr oder die Hautatmung wird unterbrochen oder was weiß ich. Ich will hier nicht zu sehr ins Detail gehen, aber Fakt war und ist, dass Er das nicht abkann und in 90 Prozent der Versuche mit einer Erektionsstörung reagierte und in den restlichen zehn Prozent schlicht nicht kam. Verstehen kann ich das; wenn mir jemand vor dem Sex eine Plastiktüte über den Kopf zöge, wäre ich auch unlustig.

Shit happens

Also bin ich ins Risiko gegangen. Scheiß auf den Zensor, man lebt nur einmal, „live fast, die young“ und so. Bis dann mal eine Dame dabei war, von der ich erst später erfuhr, dass sie Heroin spritzt. Und da hatte mich der Zensor wieder an den Eiern. „Du musst dich testen lassen!“ plärrte er tagaus, tagein. Bei einem Kaffee mit einer Journalistenkollegin erzählte ich ihr von meinem Dilemma und oha! Anstatt mich für meine Unvorsichtigkeit zu maßregeln (was heute im Sinne der unsäglichen „political correctness“ wohl unvermeidlich gewesen wäre), offenbarte sie mir, dass es ihr ganz ähnlich ging. Auch eine Nacht mit einem dubiosen Mann, willkommen! In der Paranoia-Zelle ist es zu zweit doch gleich viel kuschliger. Was soll ich sagen? Wir sprachen häufiger darüber und irgendwann, beschlossen wir, zum Test zu gehen.

Positiv: Aids-Test negativ

Der „Test“ war damals noch verbindlich im Gesundheitsamt und ich weiß heute noch, wie strange das auf den Wartebänken vor dem Untersuchungszimmer war. Jeder beäugte jeden. Junkie? Stricher? Homo? Die Augen der Wartenden flitzten suchend hin und her. Sedativa für die Augen in Form von Smartphones gab es ja damals noch nicht.

Eine Woche später – ja, so lange dauerte das damals, bis man die Wahrheit erfuhr, waren meine Kollegin und ich dann wieder vor Ort. Erst sie, dann ich – beide HIV-negativ. Das fanden wir positiv. Boah, waren wir erleichtert! Wir kauften an der Tanke eine Flasche Sekt und gingen zu mir – ich wohnte nicht weit weg vom Gesundheitsamt. Gläser klirrten, später schwirrten – Pheromone durch die Luft. Wir schliefen miteinander, es konnte ja nichts Schlimmes passieren. Es blieb bei diesem einen Mal. Und wir sind heute noch gut befreundet.

 

 

„Damals, als wir einander kennenlernten, waren wir noch glücklich.“ – diesen Satz sagen weltweit täglich Millionen Paare in unterschiedlichsten Sprachen zueinander. Danach trennen sie sich meistens ziemlich bald. Wahrscheinlich kennst du das sogar aus deinem persönlichen Erleben.

– Aber warum ist das so?

Nun, die meisten Menschen begehen in ihren Beziehungen einen uralten Kardinalfehler und dieser besteht aus zwei Aspekten.

Der erste Aspekt ist jener, eine Partnerschaft nicht aus Bereitschaft zur Liebe sondern aus Bedürftigkeit einzugehen. Beide fühlten sich vor ihrer Begegnung einsam, innerlich unerfüllt und wollten jemand finden, der diese Umstände ausgleichen soll. Genau deshalb haben sie sich ja auch gefunden, denn Gleiches zieht Gleiches an. In einem solchen Falle sind es zwei Bedürftige, von denen jeder den anderen um Erfüllung anbettelt. Anfangs schwelgen sie im Rausche der Verliebtheit auf Wolke 7, sind guter Dinge und projizieren im Stillen sämtliche Hoffnungen auf den neuen Schwarm. Das geht eine gewisse Zeit lang gut. Da jedoch jeder Rausch mit Ernüchterung endet und zwei unerfüllte Wesen einander nicht zu erfüllen vermögen, weil ja außer Leere nichts da ist, mit dem man den anderen erfüllen könnte, geraten sie in ein elendes Dilemma.

Zwei leere Krüge können einander eben nicht füllen. Ist einer der Krüge voll und der andere leer, wird der volle Krug den leeren zwar zu füllen versuchen, am Ende aber selbst leer sein und somit herrscht wieder die Ausgangssituation. Es bleibt Leere, wo Leere ist. Zwei Bettler können einander nicht vor der Armut retten. Auch ein Reicher kann einen Bettler nicht vor der Armut retten. Er kann ihm zwar Geld geben, ihn aber damit nicht reich machen. Denn Armut ist, ebenso wie Reichtum, ein Seinszustand, keine Frage des materiellen Vermögens. Ein unerfüllter, bedürftiger Mensch bleibt ein unerfüllter, bedürftiger Mensch. Er bleibt es so lange, bis er sich daran erinnert, dass nur er selbst sich erfüllen und somit aus der Bedürftigkeit und Einsamkeit befreien kann. Er muss sich selbst mit Liebe füllen. Er muss ein solch reichlich gefüllter Krug werden, bis er vor Liebe überquillt. Sonst bleibt er leer. Soviel zu Aspekt Nummer Eins, den ich in anderen Texten bereits ausführlicher behandelt habe.

Der zweite Aspekt des Kardinalfehlers in Beziehungen ist der, dass beide dachten, es gäbe eine Zeit des „Sich Kennenlernens“, die eines Tages ihr Ende finden würde. Irgendwann hätte der Eine den Anderen ausreichend kennengelernt und umgekehrt. Dann würde man sich kennen… Ja, und dann? Was sollte danach folgen, sobald man einander ausreichend zu kennen glaubt?

– Daran haben beide wahrscheinlich nur in Form von Idealvorstellungen gedacht. Sie hatten sich den Siebenten Himmel ausgemalt, ganz so, wie er in Liebesfilmen und Liebesromanen verkauft wird. Sie hatten sich vorgestellt, dass sie dann den anderen so gut kennen würden, um alle Techniken zu beherrschen, aus der Begegnung das meiste an Erfüllung für sich selbst herausschlagen zu können. Man würde die Prinzipien verstehen, mittels derer man den anderen so weit bringen könne, sich so zu verhalten, dass es einem selbst angenehm ist. Man hätte den Partner in einem solchen Maße ausgelotet, dass man alle Tricks drauf hat, um durch den anderen an das zu kommen, was man für sich selbst erhofft hatte.

Leider aber haben sich beide damit hoffnungslos in einem Irrtum verrannt, denn man kann einen anderen niemals ausreichend kennenlernen. Man kann sich im Prinzip nichtmal selbst ausreichend kennenlernen, da man sich täglich von Augenblick zu Augenblick verändert und entwickelt. Das gilt natürlich für den Partner ebenso. Er ist ein sich unentwegt selbst entdeckendes Wesen. Er entwickelt und verändert sich unaufhörlich. Wie kann man da nur glauben, einen anderen jemals vollständig zu kennen?
Jeder Mensch ist für sich betrachtet ein unendliches Universum. Man kann ewig durch das Wesen, durch die Seele seines Gegenübers reisen, käme aber niemals an ein Ende. Daher endet auch das „Sich Kennenlernen“ niemals. Es gibt keine Zeitspanne, innerhalb derer dieser Prozess jemals abgeschlossen wäre. Das gilt es zu verinnerlichen.

Der Tanz zweier Seelen beginnt bereits vor ihrer Geburt. Lange Zeit tanzen sie vielleicht alleine oder mit anderen. Bis es zwischen ihnen zur Begegnung in dieser Welt kommt. Da setzt sich der Tanz dann fort. Anfangs ist der Tanz unbeholfen. Man tritt einander häufig auf die Zehen, hat aber Freude daran, weil man weiß, es ist Teil des Tanzes. Mit der Zeit wird man besser. Man findet allmählich einen gemeinsamen Rhythmus sowie die Balance zwischen Nähe und nötiger Distanz. Der Tanz wird leichter, anmutiger, fließender, aber man beherrscht längst nicht alle Schritte und Figuren. Man muss üben und üben und üben. Man muss arbeiten an diesem Tanz. Manchmal frustriert es, weil man selbst einen Schritt bereits drauf hat, der andere aber noch nicht. Dann braucht man Geduld. Man braucht Hingabe. Man braucht Liebe. Man muss einander Zeit, Raum und auch Abstand schenken. Und man kann den Tanz nicht einfach aufgeben, bloß weil er manchmal anstrengend ist. Sonst ist man kein guter, sondern bloß ein fauler Tänzer. Faule Tänzer werden irgendwann zu Solotänzern, die versuchen, sich mit anderen faulen Solotänzern die Nacht um die Ohren zu schlagen, um sich aus der Verantwortung vor dem Tanz wahrer Liebe zu stehlen. Ein solcher Tanz ist ein trauriger und zutiefst einsamer.

Das Geheimnis aller erfüllten Partnerschaften lag und liegt demnach darin, dass sich beide nicht aus Bedürftigkeit fanden, sondern aus der Bereitschaft des überreichlich gefüllten Kruges, der so sehr mit Liebe angefüllt ist, dass er gar nicht mehr anders kann, als sich über und in den anderen zu ergießen. Und beide waren und sind stets bereit, ihre Entdeckungsreise durch die Seele des anderen nicht an eine fiktive Zeit des „Sich Kennenlernens“ zu opfern, sondern sich im vollen Bewusstsein auf den endlosen Tanz miteinander einzulassen. Sie wissen beide, es gibt nur die tägliche Neuentdeckung des Geliebten. Da ist die ewige Übung im gemeinsamen Tanz.
Ein solches Paar wird nach Dekaden des Miteinanders nicht sagen „Damals, als wir einander kennenlernten, waren wir noch glücklich.“, sondern es wird sagen „Seit wir einander trafen, wurden wir täglich besser!“.

text: David P. Pauswek – Der Andersmensch © 2017
artworx by alphawolf © 2017

Teilen erbeten und erwünscht…

Wem kommt das bekannt vor? Da bist du auf einem Event oder in einem Club, beobachtest seit geraumer Weile einen dir attraktiv erscheinenden Menschen des anderen Geschlechts und – Taraa! – ein neues Lied fängt an und dieses bislang wundersam anmutende Wesen eilt auf die Tanzfläche. Doch dann (WTF): Die wohlgeformten Gliedmaßen bewegen sich in der Art einer hölzernen Marionette. Füßchen links, Ärmchen rechts, drehen – womöglich noch selbstverliebt in die Runde gucken. Eben zuckten meine Beine noch ungeduldig, waren bereit, auf die Tanzfläche zu hechten und die Dame anzutanzen. Nun scheinen sie mir einen U-Turn zu befehlen: „Begib dich zur Bar, und zwar direkt, hol dir erst mal ein starkes Getränk gegen die Enttäuschung!“ So was in der Art.

Es geht auch andersrum

Ich habe aber auch schon das genaue Gegenteil erlebt. Da stehst du oder tanzt, scannst – weil auf Partnersuche – deine Umgebung und findest das, was Zen-Buddhisten so entspannt suchen: das Nichts. An solchen Abenden entkoppeln sich gerne meine Füße und Beine vom Rest des Konstrukts namens „Mein Körper“ und haben einfach Spaß: hüpfen, grooven, nichts denken außer „es ist heiß hier“ – vielleicht kennt ihr das ja auch. Und dann Songwechsel, Auftritt von links oder von mir aus rechts, eine unscheinbare Frau, längst gescannt und für unsichtbar befunden. Doch dann beginnt sie zu wirbeln und ihre Füße gehen in direkten Kontakt mit der Erde. Der Wind ihrer Drehungen lässt ihr Haar wehen. Das Feuer ihrer Freude am Tanz lodert, ist förmlich greifbar. Und das Wasser ihrer emotionalen Tiefen will – nein sollte! – erforscht werden.

Wen spreche ich an?

Bleiben wir doch bei diesem – mitnichten gänzlich fiktiven – Abend. Immer vorausgesetzt, die körpereigenen Hormone lodern noch immer, so gilt es ja nun eine Entscheidung zu treffen. Wen spreche ich an? Welches Schweinderl soll’s denn  sein? Herzblatt round here? Ist es die da, die Alpha-Beuteschema-Marionette? Oder die da, die wirbelt und sich freut und – oft mit geschlossenen Augen – die Welt berührt? Ich habe beides ausprobiert. Nicht am gleichen Abend natürlich, aber in durchaus vergleichbaren Situationen. Und dann gibt es da ja noch diesen oft gnadenlosen Realitätsfilter, der dir signalisiert, dass zwar du die eine oder die andere für des Ansprechens würdig erachtet hast, aber schlicht nicht ihr Typ bist. Aber ab und an gab es denn doch „Ergebnisse“, die ich euch nicht vorenthalten will.

Merz-Spezial-Dragees oder Placebo?

Kommen wir zuerst zum „Beuteschema“ (zu diesem Begriff wird es noch mal einen gesonderten Text geben). Bingo: Die 90-60-90-Blondine, die zwar schlecht tanzt und schwäbisch spricht, kommt zu dir nach Hause. Schwäbisch? Lieber ganz schnell, ganz viel küssen, dann wird das schon. Es ist soweit, sie wird scharf, zieht den noch verbliebenen BH aus und … – die 90 cm obenrum kullern den Brustkorb runter wie ein Rollladen. Was bleibt da noch? Nix! Und das ist eine Lehre, die du nie vergisst. Sagt man ja gerne so – lass dich nicht von Oberflächlichkeiten blenden – Placebo halt.

Der Slogan der Merz-Spezial-Dragees lautete ja „Wahre Schönheit kommt von innen“. Und dem Schicksal sei es gedankt, auch das habe ich schon erlebt. Sie: Tiefe Augenringe, krasser, nahezu militärischer Kurzhaarschnitt, ungeschminkt (später kamen dann auch noch wild an Bewuchs wuchernde Unterschenkel hinzu). Aber in der Tanzbewegung! Katzengleich, im Hier und Jetzt! Und hell im Oberstübchen. Es folgte eine wunderschöne Nacht, während dem Sex lachte ich, aus reinem Glück, sie gefunden zu haben. Wir waren zwei gute Jahre zusammen …

 

Fremde Welten, neue Zivilisationen? Beim Online-Dating kein Problem. Wer in die Welt der Dating-Portale eintaucht, muss nicht erst das Raumschiff Enterprise besteigen, um derlei zu erleben. Beispiel gefällig? Ich hatte mich auf so einer Plattform angemeldet, obwohl ich damals gar nicht wirklich auf der Suche war, sondern weil ein Freund von mir sie über den grünen Klee gelobt hatte. Also Profil erstellt, mal ein, zwei Tage umgesehen und fast schon wieder vergessen, als die Interessensbekundung einer Frau in mein dort hinterlegtes E-Mail-Postfach flatterte. Das machte mich dann doch neugierig, denn im virtuellen Raum ist es ähnlich, wie im realen Leben: Frauen erwarten, dass die Männlein den ersten Schritt tun. Wir hatten erst ein paar Sätze hin und her geschrieben, als sie bereits vorschlug, die Unterhaltung doch lieber auf What’s App fortzusetzen. Das fand ich recht ungewöhnlich, da die Damen dieser Welt ihre heilige Handynummer normalerweise nicht so ohne weiteres – und vor allem nicht so schnell – herausrücken.

Mit Neugier in die nächste Online-Dating-Runde

Also Handynummern getauscht (ich hatte sie vorher nach einem Bild von ihr gefragt) und vom Rechner zum Mobiltelefon gewechselt. Als erstes kam ein Bild, und dieses erste Bild ist ja normalerweise in derlei Portalen eher eines der braven Art: Ich und mein Hund, meine Katze, meine Geranie und dergleichen. Aber holla die Waldfee, dieses hier war ganz anderer Natur: Sie, knieend auf dem Fußboden, in einen grauen Satin-Hausanzug gehüllt, der nach vorne hin großzügig aufgeknüpft war und das Panorama ihrer üppigen, in ein schwarzes Stick-Bustier gehüllten Brüste offenbarte. Dazu ein, das Gesicht verhüllender, schulterlanger Seitenscheitel. Wahrlich nicht hässlich in jedem Fall, aber natürlich in meiner persönlichen Altersliga, also mindestens Ü40. Danach erstmal Austausch von Wortflüssigkeiten, wirklich interessant wurde es dann wieder, als ich sie nach ihrem Job gefragt habe (sie hatte geklagt, dass sie abends immer total ausgebrannt sei).

Online-Dating mit Parteiverkehr

Sozialamt“, kam die Antwort und sogleich ein Lockruf: „Manchmal geht’s auch unter der Woche, wenn ich weiß, dass ich keinen Parteiverkehr habe am nächsten Tag.“ Unterkiefer unten. Lag am für mich doch selten erlauschten Wörtlein „Parteiverkehr“ und auch der Begriff „Sozialamt“ ruft in mir stets leicht kafkaeske Assoziationen hervor. „Arbeitest du denn gerade?“ fragte ich – es war circa 12.30 Uhr. „Klar“ kam die fröhliche Antwort und dann ganz schnell hinterher: „Und was beim Sex fehlt dir denn? Und hast du das mit dem Belohnen auch verstanden?“ Ich, leicht verständnislos: „Wie meinst du das denn mit dem Belohnen?“ Da kam dann ein ziemlich langer Post, unter anderem mit der Message „Das Besuchbare und die Diskretion werden mit TG belohnt“. Und recht schnell und konsequent hinterher: „Wenn du damit ein Problem hast, dann sag’s gleich, bevor wir weiter schreiben!“ TG? Meine Gedanken rasten, hatte das Kürzel eigentlich eher mit Trans-Gender verknüpft, also irgendwas mit Geschlechtsumwandlungen. Dann fiel im wahrsten Sinne des Wortes der Groschen.

TG steht nicht für Transgender

Ich schrieb: „TG ist Taschengeld? Was stellst du dir denn da so vor?“ Sie: „Lass dir was einfallen!“ Meine immer noch unschuldige Antwort: „Ich fände Geschenke schöner, weil sie mehr Kreativität erfordern“ (Sonnenbrillensmiley). Aber nun machte sie mir klar, dass es hier nicht um Kreativität ging, sondern um essentielles – für eine gestresste Staatsangestellte. Ich will ihre Begründung nicht komplett wiedergeben, aber einige Auszüge ließen tief blicken: „Du kannst gerne zu meiner Kosmetikerin fahren und dort Gutscheine holen.“ Oder: „Gehe einmal die Woche zum Massieren, weil ich das jobtechnisch brauche.“ Ich antwortete ihr umgehend, dass das nicht mein Ding ist. Hatte aber ne halbe Stunde später eine Idee und fragte sie, ob sie mir – als Journalist – ein anonymes Interview zu ihrer Lebensweise geben mag. Die Antwort war schroff: „Auf keinen Fall, ich arbeite ja für die Politik!“

Für mich tun sich da echt Abgründe auf. Tagsüber Hartz4-Empfänger sanktionieren und sich in der Freizeit prostituieren für Kosmetik und Massage? Diese Welt geht echt den Bach runter …

 

„Bist du schwul?“ Genau genommen interessiert mich die Antwort nicht. Was mich interessiert ist, was mit dir passiert, wenn du diese Frage hörst. Bekäme ich die Frage gestellt, würde ich ganz einfach mit „Nein“ antworten und fertig. Ganz unaufgeregt, weil ich es weiß.

Dabei gab es Zeiten, wo ich mir nicht ganz sicher war. Als Student hielt ich es immerhin für möglich, bisexuell zu sein. Das wollte ich herausfinden. Mein bester Freund war ähnlich „verrückt“ wie ich und machte mit. Wir schlossen uns also in unserer Bude ein, legten uns nur mit Unterhose bekleidet aufs Bett und begannen, uns zu streicheln. Das verlangte eine Menge Überwindung, aber irgendwie klappte es einigermaßen. Ihm erging es ähnlich. Aber alles Streicheln half nichts, keiner von uns konnte weder in sich noch im anderen einen Funken Erotik entdecken bzw. zünden. Also zogen wir uns nach einer Stunde vergeblichen Streichelns wieder an und gingen auf ein Bier.

Heute, rund 40 Jahre später, kann ich mir immerhin vorstellen, dass es einem mir attraktiven und homosexuellen Mann gelingen könnte, mich zu verführen. Aber es wäre vermutlich ein Phyrrussieg von kurzer Dauer. Ich kann Männer sympathisch und attraktiv finden, das war’s dann aber auch. Mich in einen Mann verlieben – undenkbar.

Und was würde in dir geschehen, lieber Leser, liebe Leserin, wenn man dir die Frage stellte? Wärest du empört über den Gedanken (sofern du nicht homosexuell bist)? Die meisten Menschen wären es wohl, denn „schwul“ ist nach wie vor in weltanschaulich einfach gestrickten Kreisen ein funktionierendes Schimpfwort. Natürlich auch auf Schulhöfen. Schon Grundschüler beschimpfen sich damit ausgesprochen erfolgreich.

Das ist nicht nur so, weil Homoesexualität nicht die biologische Regel ist. Ein weiterer Grund ist in unserer Vergangenheit zu suchen. Homosexualität wurde von den Nazis massiv verfolgt. Heute schätzt man die Zahl der zwischen 1933 und 1945 strafrechtlich Verfolgten auf rund 70.000. Schwule kamen ins Gefängnis oder ins KZ und wurden systematisch gedemütigt. Der berühmt berüchtigte Paragraph 175 des Strafgesetzbuches war der einzige Nazi-Verfolgten-Paragraph, den die Bundesrepublik 1:1 beibehielt. Mit anderen Worten: Die Nazimentalität Homosexuellen gegenüber wurde 1:1 ins bundesrepublikanische Denken der Menschen überführt und für gutgeheißen. Im großen gesellschaftlichen Kontext schwärt das böse Vorurteil nach wie vor, auch wenn es nicht mehr strafbar ist, wenn ein Mann einen Mann oder eine Frau eine Frau liebt. Und genau dieser gedankliche Schwefeldampf der Vergangenheit steigt uns von innen in die Nase, wenn uns jemand fragt: „Bist du schwul?“

Also ich oute mich jetzt mal: Ja, ich habe als Teenager die Bravo gekauft. Und gelesen. Und ja, gerade die Beiträge von Dr. Korff und Dr. Sommer fanden stets mein ungeteiltes Interesse. Förmlich eingebrannt in mein damals noch jugendliches Hirn hat sich ein Artikel, der die Überschrift trug: „Massier ihr mal den Po, denn das stimmt sie liebesfroh.“ Zur Zeit der Lektüre war es leider so, dass sich mein Kontakt zum weiblichen Geschlecht darauf beschränkte, aus der Ferne zu staunen und zu schmachten, von der Chance zu einer handfesten Po-Massage konnte damals noch keine Rede sein.

Knetbarer Po-Weg

Aber man wird ja älter und so boten sich nach und nach veritable Gelegenheiten, um den Wahrheitsgehalt von Dr. Sommers These empirisch zu überprüfen. Denn nach wie vor geisterte er in meinem Kopf herum und nun ja: Wenn die Hand am Po ist, ist oft auch der Verstand „am Arsch“. Oder so. Aber zur Sache, sprich zu meinen Erfahrungen. Klar ist natürlich (zumindest den meisten), dass unangekündigtes Po-Grabschen oder gar -massieren keine Bonuspunkte bringt. Hab das selbst nie probiert, es kam mir aber auch nie eine Geschichte zu Ohren à la „sie war mir sofort sympathisch und nachdem ich ihr spontan an den Po gegriffen hatte, waren wir ein Herz und eine Seele“. Aber in meiner persönlichen Praxis zeigte sich dann doch, dass der Po einer Frau durchaus ein knetbarerer Weg hin zu „Mehr“ sein kann. Aber warum? Keine Ahnung. Doc Sommer hatte recht gehabt und Tschüss!

Zwei Fäuste für ein Halleluja?

Natürlich habe ich beim Schreiben dieses Textes dann doch auch mal die Suchmaschine gefragt. Nein, nicht die mit den fünf Fingern im Schlüpfer der Partnerin, und in der Tat wurde ich fündig. Wo? Na bei den Frauenzeitschriften! Die haben den Plan, die Autoren und Autorinnen und … wie heißt nochmal das dritte Geschlecht, das das Bundesverfassungsgericht jetzt durchgewinkt hat? Egal. Die da schon länger schreiben, wissen, wo es langgeht, etwa bei Elle, wo unter der etwas reißerischen Überschrift „Zwei Fäuste für ein Halleluja: Druck beim Massieren langsam erhöhen“ eine ganz praktische und für mich durchaus nachvollziehbare Anleitung folgt: „Am besten fängt man bei der Po-Massage ganz sanft an: Verteile ein bisschen Massageöl auf deinen Händen und beginne in der Mitte des Pos zu massieren, und zwar kreisförmig. Zuerst in sehr engen Kreisen, die dann immer größer werden. Wenn du am Rand des Hinterteils angelangt bist, wird es Zeit, einen Gang hochzuschalten: Ab jetzt wird mit geballten Fäusten massiert. Dabei wechselst du zwischen leichten Druckbewegungen und sanftem Abklopfen.“

Mit dem Geodreieck am Po

So weit, so gut. Aber so eine Po-Massage tut man ja nicht einfach so? Wie war das mit dem „liebesfroh“? Auch hier weiß Elle Rat und weist auch den Weg hin zu geheimnisvollen Stellen: „Die perfekte Stelle, um eine Po-Massage enden zu lassen, sind zwei bestimmte Punkte im Beckenbereich, von denen es eine Verbindung zu den Genitalien gibt. Deshalb können Berührungen hier besonders prickelnd sein. Diese Hot Spots findest du, wenn du deine Finger an dem Übergang zwischen Wirbelsäule und Becken entlangführst. Sie liegen etwa sieben bis zehn Zentimeter links und rechts der Wirbelsäule“. Das fand ich erheiternd. Die Vorstellung, wie der große Po-Masseur sich mit dem Geodreieck oder dem Malermaßstab auf die Suche nach den magischen Punkten macht – das hat was! Zum Glück gibt es im Universum der Frauenzeitschriften ja auch noch die „Freundin“, die beim Suchen hilft: „Führen Sie dazu Ihre Finger an den Übergang zwischen Becken und Kreuz. Jeweils links und rechts von der Wirbelsäule in einem Abstand von rund sieben bis zehn Zentimetern befinden sich zwei spezielle Energiepunkte, die die erotische Po-Massage am Ende zum unvergesslichen Abenteuer machen“. Hmpf: Und wo ist der Übergang zwischen Becken und Kreuz? Das hat mir in der Schule keiner beigebracht. Dafür konnte ich mal Infinitesimalrechnung. Alles für’n Arsch! Ich mach Schluss für heute.

Ein neues Jahr und da fange ich gleich mit einer alten Geschichte an? Ja, warum nicht? Wenn sie denn Bedeutung hat, sollte das legitim sein. Die Rede ist von einer Beziehung, die ich mit Mitte 20 führte. Das war alles andere als einfach. Ich hatte damals gerade erst „Betty Blue“ von „Phillipe Djian“ gelesen und dann brauste „meine Betty“ wie ein Orkan in mein Leben. Ich war so richtig hin und weg am Anfang, träumte im tiefen Inneren meines Stammhirns bereits von der Weitergabe meiner Gene. Ihr wisst schon, das volle Brett eben. Die ganz große Euphorie legte sich allerdings relativ schnell. Warum? „Betty“ war magersüchtig und auch noch Vegetarierin. Eine Spezies, der ich in dieser Kombination bislang nicht begegnet war, und so begann ich mich darauf einzustellen. Will heißen, dass ich fürderhin ebenfalls auf Fleisch verzichtete; dass ich das Kochen – unter anderen Bedingungen als „Bratwurst oder Steak in die Pfanne oder auf den Grill“ – neu erlernen musste. Das klappte zunächst ganz gut. Sie konnte ihr Gewicht halten, nahm gelegentlich sogar ein wenig zu.

Treue, die erste: freiwillige Kerkerhaft?

Bis zu ihrem Griechenlandurlaub (ihr Abi war geschafft). Sie flog mit einer Freundin dorthin, die auch nicht gerade viel Fleisch auf den Rippen hatte. Bei ihrer Abreise dachte ich mir nicht viel dabei, sollen sie möglichst viel Spaß haben und gut ist‘s. Als sie nach zwei Wochen wiederkam, traute ich meinen Augen kaum. Der Graf von Monte Christo hätte nach jahrelanger Kerkerhaft im Vergleich zu meiner „Betty“ wie das blühende Leben ausgesehen: 42 Kilo auf 1,78 Meter? Das war der Hammer. Ideen über Kinder erloschen in meinem Stammhirn, wie eine LED-Lichterkette, die vom Netz genommen wird. Ich hatte zu dieser Zeit einen Job als Werbetexter in einer Heilbronner Agentur. Probezeit fast durch, das hätte was Längerfristiges werden können, aber natürlich habe ich gekündigt. Vollzeit in Würzburg, kochen und füttern, was das Zeug hält – die stirbt mir sonst weg, war die nur allzu begründete Angst. Ich will’s mal so sagen: Das hat auch geklappt – Gewichtszunahme, dann ein fantastischer Urlaub – sechs Wochen im Haus ihrer Eltern in der Toskana, noch zwei Wochen Korfu hintendran. Alles schien gut zu werden.  Bis zur Hochzeit ihrer kleinen Schwester.

Treue, die zweite: blind für die Gefahr

Bis zu diesem Zeitpunkt war ich – was Untreue angeht – weitgehend unerfahren: Schluss machen, dann was Neues anfangen, das kannte ich als „Opfer“ und als „Täter“ zur Genüge. Oder ich war in der Vergangenheit einfach zu blind gewesen, um diverse Vorzeichen zu erkennen. Und mit Blindheit sind wir auch beim Stichwort: Diese Hochzeit war der Wahnsinn. Aus welchem Loch er auch immer geschlüpft war: Ein gutaussehender australischer Maler machte unsere Bekanntschaft. Ich fand ihn nett und wie es für mich ganz normal ist, schwirrte ich mal hier und mal dahin übers Hochzeitsfest. Halli, hallo, huhu – Zwilling halt. Okay, ein bisserl zweifelnd wurde ich, als ich meine „Betty“ und den Herren aus „Down Under“ tête-à-tête in einer Gartenschaukel sitzen sah. Aber wie es eben so ist: Oh – ein Eichhörnchen, holla ein Schmetterling – das Fest ging weiter, bis sich die ältere Generation in ihre Eigenheime verabschiedete. Der Rest verlagerte den Mittelpunkt der abendlichen Aktivitäten in einen Keller-Club, der auch für seinen labyrinthischen Grundriss bekannt ist. Was soll ich sagen? Ich habe viel getanzt, den ganzen Tag über viel getrunken – so um drei Uhr morgens war ich einfach müde und bin nach Hause gelaufen, das war damals nicht weit. Noch ein Küsschen für „Betty“, ein Shakehands mit dem Maler, einen Hug mit „Bettys“ kleinem Bruder und weg war ich.

Treue, die dritte: Showdown

Nächster Morgen – okay, es war eher früher Nachmittag. Der kleine Bruder ruft mich an. Festnetz, natürlich – Handy gab es damals nur für Millionäre. Grabesstimme: „Meine Schwester hat ihn mit zu sich nach Hause genommen.“ „Wen noch mal?“ Ah ja, da war was – dunkel brauten sich die Erinnerungswolken in meinem Kopf zusammen. Also einen Kaffee gekocht, ins Auto gestiegen und zu ihr gefahren. Geklingelt. Noch mal geklingelt. „Er“ war schon weg. Ich frage: „Hast du mit ihm geschlafen“? Sie, noch völlig zerknautscht: „Nö, hab ich nicht“! Aber im weiteren Gespräch offenbarte sie mir dann doch die Wahrheit. Eine Wahrheit, die ich eigentlich gar nicht wissen wollte, die mich echt ins Mark traf (übrigens: Er hieß Mark): „Wie blind kann man eigentlich sein?“ Ein Satz, der in den Wochen nach unserer Trennung in meinem Hirn rauf und runter lief. Aus heutiger Sicht kann ich nur sagen: Ich habe es gut verkraftet und es ist kein Othello aus mir geworden. Gute Sache: Ich kann immer noch vertrauen.