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von Alander Baltosée

Liebe ist die innige Verschmelzung zweier Seelen.
Gemeinsam fließen sie im puren Sein,
jenseits des Ichs.
Der Weg dorthin ist schmerzhaft, verschlungen und weit.
Wir glauben, die Liebe
im Spiel zwischen Mann und Frau zu finden.
Im Ringen um dieses gemeinsame Seinsgefühl
hält es einem jeden zunächst den Spiegel vor.
Wir sehen und lieben im anderen,
was wir an uns selbst lieben.,
sehen im Antlitz der Geliebten
die verkannte eigene Schönheit.
Wir lassen uns fallen
und fühlen uns geborgen,
öffnen uns meinen uns dem anderen zu zeigen.
Wir fühlen uns verstanden, gesehen und gespürt,
bis zum Grunde unseres Wesens.
Endlich scheint die endlose Einsamkeit vorüber,
das Getrenntsein von der Welt aufgehoben.

Dann trifft uns der brennende Pfeil vergessener Seiten.
Holen uns ein, die altbekannten Ängste, zum xten Male.
Das kennen wir,
das andere trauen wir uns nicht zu wagen.
Wir halten inne nach der Trennung
Bis wir begreifen, dass wir uns
im Anderen erkennen wollen,
dass sich unser eigenes Sein
im Geliebten spiegelt.
Auch jene Seiten, die wir nicht mögen,
die wir für die Liebe zu heilen haben,
um das Sein in wahrhaftiger Verschmelzung
leben, den Tanz zwischen Mann und Frau
wirklich tanzen zu können.

Eine Liebes-Geschichte zeigte mir,
wie das Haben-Wollen den Geliebten ersticken kann.
Die nächste führte mir vor Augen,
wie selbstmitleidiges Opferspiel Schönheit zerbricht,
eine andere ließ mich nachempfinden,
zu welch’ grausamer Waffe sich Wut verwandelt.
Kennt kein Halten mehr, der Zorn, mit seinen Worten.
Schießt Sätze wie Geschosse in den Raum,
die sich ins Gedächtnis graben,
leidvoll in der Seele Wunden schlagen.
Ein anderes Mal war die Geliebte so eifersüchtig,
dass jedes Vertrauen darin erstarb.
Immer wieder zeigte mir das Leben
im Gewande der Liebe,
wie sich eigenes Verhalten für andere anfühlt.
Indem wir es durch den Geliebten selbst erfahren,
erkennen wir, wann und wo wir andere schmerzten.
Die Liebe, das, was wir so nennen,
entlarvt blinde Flecken schonungslos,
will sie heilen und erlösen,
um sich frei entfalten zu können,
über enge Horizonte des Ichs hinaus.
Die Geduld der Liebe zerreißt am inneren Widerstand,
sich selbst erkennen zu wollen.
Man findet sich wieder im Alleinsein mit sich selbst.
Hast nicht vergessen, dankbar zu sein,
für all die Selbsterkenntnis,
doch schmerzvoll brennt der Verlust
der dich jäh ereilte.
Die Geliebte lockt und betört,
mit ihren Reizen, mit ihrer Hingabe.
Verschenkt sich liebestrunken
und entblößt im gleichen Zuge
die Unfähigkeit des Menschen, die reine Liebe anzunehmen.
Und ihr ergeht es ebenso.
Sie lässt spüren, wie schrecklich es sich anfühlt,
wenn Liebe nicht angenommen werden kann.

Das Vertrauen ist im Verliebtsein gewachsen,
ließ Hingabe wie Blüten in den Maiwind treiben,
bis aus nichtigem Anlass der Zauber erlischt,
im Augenblick, in dem Zweifel und Argwohn
sich fast unmerklich einzuschleichen beginnen.
Ein seltsamer Blick der Geliebten
stiftet Verwirrung, lässt dich ins Bodenlose stürzen.
Du schaust sie an und fühlst,
dass das Edle zerbrochen ist.
Nichts vermag es aufzuhalten,
als sei es unumstößliches Gesetz.
Im glückseligen Liebestaumel,
wird sich in Freude umschlungen.
Doch das Gift von Argwohn und Misstrauen
macht mit einem Mal den Zauber zunichte.
Plötzlich aus dem Nichts gekommen, ist er da,
dieser Impuls, mit dem uns das Vertrauen verlässt.
Wir haben uns weggeschenkt,
im Geben vergossen.
Doch dann schlägt eine Tür ins eiserne Schloss,
stellt durch ein einzelnes Wort,
mit einem einzigen misverstanden Satz,
das Heilige in Frage.
Aus dem Himmel gefallen.

Du ließest Dich verzehren,
betörende Reize lockten dein Begehren,
ließen dich glauben, es sei die Liebe,
der du folgst.
Bis der Moment der Erschöpfung kommt
und das Weib unersättlich bleibt.
Zurückgeworfen und beraubt der Illusion,
die hoffen und glauben ließen,
es gäbe ein immerwährendes Glück zu zweit,
als gäbe es den richtigen Lebenspartner,
zwei Wesen, Mann und Frau,
die zwei Hälften einer Seele sind.

Was eben noch Liebe war,
ist nun bizarre Fremde.
Ein Wort, ein Satz provoziert die Frage,
ob man den anderen wahrlich kennt.
Was geht in ihr vor,
kann sie mich spüren?
Ist sie so nah bei mir,
dass ihre Liebe die Zweifel besiegt?
Waren alle Bekenntnisse,
die schönen Worte und Komplimente
nur im Taumel der Euphorie
von den Lippen geflossen?
Welche Kraft reitet uns dann,
wenn wir uns romantisch ergießen?
Ist das die Liebe oder hungrige Begierde?

In einem Moment war jede Berührung
noch natürlich und ungezwungen,
dürstete die Liebe nach Zärtlichkeit,
labte sie sich in sinnlicher Erotik.
Ein winziger Augenblick, ein Gedanke,
eine Geste oder ein fragender Gesichtsausdruck,
lassen die Seelen aus der Wonne fallen.

Die Fragen nach dem Warum wollen nicht enden
und es gibt keine Antworten darauf.
Mann und Frau sprechen
zwei unterschiedliche Sprachen,
verstehen nicht des anderen Sinn.
Hörst nur noch, was deine Ängste nährt,
alte Wunden wieder aufbrechen lässt.
Eine Spirale der Verwirrung
beginnt sich zu drehen.
Jeder Versuch der Klärung
verhärtet die entstandenen Fronten.

Wag ich noch,
ihre Haut zu streicheln,
ihre Nacktheit wie ein Fest zu feiern,
mich von ihrem Liebreiz verführen zu lassen?

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Als ich den folgenden Text zum ersten Mal las, konnte ich kaum glauben, dass das, was da stand, ein elementarer Teil unserer Kultur ist. Dieser mich sehr bewegende, unfassbar radikale Text stammt aus der Bibel, 1 Korinther 13, 1-8. Inzwischen gibt es viele Varianten, hier eine davon, die mir besonders gut gefällt. Es sollte eine weite Verbreitung finden. Hier sorge ich schon mal ein bisschen dafür:

Das Hohelied der Liebe

Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke.

Und wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis hätte; wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts.

Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte, und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts.

Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit.

Sie erträgt alles, sie glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf. Prophetisches Reden hat ein Ende, Zungenrede verstummt, Erkenntnis vergeht. Denn Stückwerk ist unser Erkennen, Stückwerk unser prophetisches Reden; wenn aber das Vollendete kommt, vergeht alles Stückwerk.

Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind und urteilte wie ein Kind; als ich aber Mann wurde, legte ich ab, was kindisch an mir war.

Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie auch ich durch und durch erkannt worden bin.

Jetzt aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

Liebe zwischen den Geschlechtern ist ein Glaubenssatz, eine mentale Infusion. Nur weil sie uns von früher Kindheit an via Illustrierten, Filmen und Romanen eingetrichtert wurde und wird, muss dieser Mythos noch lange nicht wahr sein. Oder doch?

Ich weiß: Jetzt ernte ich nicht nur Kopfschütteln, sondern Vermutungen über meinen Geistes- bzw. Seelenzustand. Ich kann euch versichern: Ich bin durchaus bei Troste. Und ich bin seit 1979 verheiratet, mehr oder weniger glücklich (was auch immer das heißen mag). Oder ist das eher ein Hinweis, dass ich doch gestört bin?

Spaß beiseite: Wie kann man nur an der Wahrheit der „Liebe zwischen den Geschlechtern“ zweifeln? Nun, es hat im Jahr 1600, als die Hexenverbrennungen ihren Höhepunkt hatten, auch Menschen gegeben, die an der Existenz von Hexen gezweifelt haben. So viel zum gesamtgesellschaftlichen Konsens von Wahrheiten.

Was nährt also meinen Zweifel an der „Liebe zwischen den Geschlechtern“? Zum einen ganz banale Einsichten: So gut wie jeder glaubt zwischen seinem 14. und 30. Lebensjahr, die oder den RICHTIGEN gefunden zu haben, den EINZIGEN oder die EINZIGE, AUSERWÄHLTE. Je weniger Erfahrung wir haben, desto leichter bilden wir uns das ein. Und je unerfahrener, gieriger bzw. ausgedürsteter wir sexuell sind. Es ist so, als hätte die Evolution eine Art Bratpfanne aufs Feuer unserer Hormone gestellt, und je nachdem, ob wir mehr auf Hausmannskost, chinesische Küche oder Steak getrimmt wurden, steigt uns der verführerische Duft einer appetitlichen Geschlechtsmahlzeit in die Psycho-Nase. Noch nie, meinen wir, hätten wir so etwas Köstliches auf dem Teller gehabt wie IHN oder SIE; das muss sie sein, endlich – die große Liebe.

Pardon für den banalen Bratpfannen-Vergleich. Ich will damit nicht all jene hohen Gefühle verunglimpfen, die bei menschlichen Geschlechtsritualen im Spiel sind. Der Vergleich kam mir vielleicht, weil ja gerade jetzt die Geschlechter wieder ihre Reize und Körpersignale aufs Köstlichste auspacken. Das Ergebnis ist vorherseh- und -sagbar: neue Liebesbeziehungen, neue Affären, neue Seitensprünge, neue Kinder, neue Hoffnungen, neue Enttäuschungen, neue Seelenqualen. Und auch: viele vorgetäuschte Orgasmen.

Bei genauer Betrachtung glaubt freilich kaum jemand, dass es nur die oder den einen gibt. 99 Prozent aller Liebeskummer-Fälle lösen sich von alleine auf, indem ihre Ursache durch eine gleichwertige Alternative gelöscht oder wenigstens ausbalanciert wird. Was war also dann die große Liebe? Die Beziehung davor oder die danach? Und nicht ganz zufällig sinkt die Rate spontaner Verliebtheiten mit wachsender Geschlechtererfahrung. 80-Jährige verlieben sich nicht deswegen weniger, weil sie es nicht mehr könnten, sondern weil sie ganz einfach sehr viel mehr um den Trug wissen, der in der Luft liegt, wenn die Hormone mal wieder auf die Hirnanhangdrüse durchgreifen.

Was alles nicht heißen soll, Liebe machte keinen Spaß. Ja doch, tut sie.

[Foto: pixabay_miapowterr]