Lieben statt Liebe

Liebe – da denken die meisten Menschen gleich an die Liebe zwischen Mann und Frau. Und vielen gilt sie als das Höchste. Doch es gibt weit mehr Lieben als diese eine Liebe.

Nehmen wir nur unser aller Liebes-Vorbild: die Elternliebe. Ja, ich sage bewusst Elternliebe statt Mutterliebe. Denn letztere ist ein weltanschaulich überhöhtes Ideal, das sich im Licht der Verhaltensforschung oder Anthropologie durchaus als Brutpflegeverhalten deuten lässt. Auch Väter können ihre Kinder lieben und vergöttern; wobei sich augenblicklich die Frage stellt, ob denn Letzteres, das Vergöttern, zu den liebenden Verhaltensweisen zählen darf oder nicht eher zu den Formen mühsam verholener Eitelkeit.

Aber darüber zu schreiben wäre eine andere Geschichte. Andere Formen der Liebe sind die Freundesliebe, die für mein Empfinden der Geschlechterliebe übergeordnet ist. Erfahrungsgemäß hält die Freundesliebe oft länger und bedarf keiner ununterbrochenen Bestätigung (ist also weniger von Misstrauen geprägt). Und: mein Freund ist mir nicht gram, wenn es noch einen zweiten oder gar dritten Gott neben ihm geben sollte. Er verlangt auch keine Leidenschaft (was ist das denn nun wieder?) von mir, auch keine Zärtlichkeit und keinen Sex. Oho!

Und wie steht es mit der Geschwisterliebe? Vermutlich lässt sie sich im dubiosen Feld der Mutterliebe verorten. Denn um wie steht es um die Geschwisterliebe, wenn wir nicht um den Verwandtschaftsgrad wissen, etwa, weil wir kurz nach der Geburt getrennt wurden? Oder wie kühlt sich ab, wenn wir erfahren, dass die Schwester gar nicht die „leibliche Schwester“ ist, sondern dem Samen eines Seitensprungs entsprang? Darf sie dann zur „lieblichen Schwester“ werden? Am Ende wurde sie adoptiert, enthält also gar keinen gemeinsamen Blutanteil?

Als guter Christ oder Buddhist muss man sich auch noch mit der Feindesliebe herumschlagen, die im einen Fall nicht von der Gottesliebe und im anderen Fall nicht von der uns innewohnenden Buddhanatur zu trennen ist. Man sieht, die Dinge komplizieren sich zusehends, zumal dann, wenn man die ketzerische Frage wagt, in welchem Verhältnis Gottesliebe und Buddhanatur zu einander stehen? Und ist die Liebe zu Natur, Tieren oder Kunst nur weitere Spielarte der Liebe oder ist sie eine Unterart der Gottesliebe?

Offenkundig gibt es nicht nur „die Liebe“, sondern viele Lieben. Wer Liebe überhöht, verkitscht sie nur und tut so, als ließe sie sich nicht erlernen oder vertiefen, als gäbe es also keine „Kunst der Liebe“; als müssten und sollten wir nicht ein Leben lang daran arbeiten, uns aus „Liebhabern“ in „Liebende“ zu verwandeln. Der Einfachkeit halber möchte ich mich deshalb der alltagstauglichen und provokant nüchternen Liebesdefinition des Berufsphilosophen Wilhelm Schmid anschließen: „Liebe ist eine Beziehung der Zuwendung und der Zuneigung von etwas oder jemandem zu etwas oder jemandem.“